Erste posthume Retrospektive in Österreich

Die Wiederentdeckung der Birgit Jürgenssen

Viele Künstlerinnen werden erst im Alter berühmt, oder sogar erst nach ihrem Tod. Wie etwa Birgit Jürgenssen, die 2003 im Alter von 54 Jahren verstarb und jetzt ein großes Revival erlebt. Im Bank Austria Kunstforum ist ihr in Zusammenarbeit mit dem Verbund die erste posthume Retrospektive Österreichs gewidmet.

Frauen müssen in vielen Branchen noch immer doppelt so gut sein, wenn sie sich gegen ihre männlichen Kollegen behaupten wollen. In der Kunstbranche trifft das erst recht zu.

Kultur aktuell, 15.12.2010

Die Schuhkreationen von Birgit Jürgenssen sind atemberaubende Versuchsanordnungen für Elfenfüße. Ebenso filigrane wie absurde Skulpturen aus Brot, aus Vogelfedern, ja einer beschützt die Trägerin sogar mit einem Wolfsgebiss.

Zeitlose Avantgardistin

Bei Birgit Jürgenssen ist der Schuh zugleich Fetisch und Waffe. Schön und hochhackig, aber dann mit einem Knoten im Stiletto. Denn sie war eine feministische Künstlerin, gehörte aber nicht dem provokant-militanten Flügel an, wie Valie Export etwa, weshalb ihre poetisch zarten Zeichnungen, die immer einen Schuss Humor transportierten, von den Zeitgenossen übersehen wurden.

Für Heike Eipeldauer, die gemeinsam mit Gabriele Schorr die Ausstellung kuratiert hat, ist die Zeit für Jürgenssen jetzt reif. Ihre poetische Form des Feminismus könne nun gelesen werden. Jürgenssen, so Eipeldauer, war ihrer Zeit voraus und sei damit zugleich auch zeitlos.

Vorläuferin von Sherman und Krystufek

Die Zeichnungen von Birgit Jürgenssen zeigen Hausfrauen, die in aufreizender Aufmachung den Boden schrubben oder in kuscheligen Käfigen eingesperrt sind, vor denen Vögel als Symbol der Freiheit herumflattern. Das war ihre Art, gesellschaftspolitische Themen aufzuzeigen.

Sie inszenierte sich vor der Kamera mit Selbstauslöser in einsamen Performances. In immer neuen, bizarren Verkleidungen, die sie als Vorläuferin von Cindy Sherman ausweisen. Eine Serie von Badezimmerfotos, die Jürgenssen fast unbekleidet bei ihren Schönheitsritualen zeigt, bringt Kuratorin Eipeldauer auch in Verbindung mit dem Werk von Elke Krystufek, deren Selbstbewusstsein, ohne die Vorarbeit Jürgenssens kaum vorstellbar sei.

Steigendes Interesse

Erst jetzt wird klar, welche bedeutende Rolle Birgit Jürgenssen in der österreichischen Kunstgeschichte gespielt hat. In einer Zeit, als es neben dem Wiener Aktionismus, den Neuen Wilden und den knallharten Feministischen Aktionen recht laut in Österreich war, ist Birgit Jürgenssen einfach untergegangen. Gleichzeitig war die Fotografie als eigenständige Kunstform noch nicht wirklich anerkannt.

Jetzt ändert sich das: Die Sammlung Verbund hat eine Monografie herausgegeben, und es ist ein umfangreicher Katalog zur Ausstellung erschienen. Auch das internationale Interesse ist groß, wie Gabriele Schorr, die Leiterin der Verbund-Kunstsammlung erklärt, die über 50 Arbeiten der Künstlerin verfügt. Die Tate Gallery zeigt sich interessiert, das Centre Pompidou hat bereits Arbeiten gekauft, wie auch das Huston Museum of Modern Art.

Typisches Rollenmuster

Mit dem späten Ruhm steht Birgit Jürgenssen nicht alleine da. Auch ihr großes Vorbild Louise Bourgeois war 35 Jahre lang in Vergessenheit geraten, bevor ihr dann mit 70 Jahren Weltruhm zuteil wurde. Auch der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig gelang das erst rund um ihren 90.Geburtstag.

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