"Redaktionsgeheimnis absolut"

OGH: ORF-"Am Schauplatz"-Material geschützt

In einem der medienrechtlich aufregendsten Fälle des Jahres 2010 hat der Oberste Gerichtshof ein Urteil gefällt: Der ORF muss das Bild- und Ton-Rohmaterial für die Sendung "Am Schauplatz, Am rechten Rand" nicht an die Justiz herausgeben.

Mittagsjournal, 16.12.2010

Redaktionsgeheimnis absolut

Zwei Aspekte umfasst die heutige Entscheidung. Erstens, den für die Allgemeinheit wesentlichsten, nämlich die Entscheidung, dass Medienunternehmen alle sogenannten Mitteilungen, im konkreten also Rohmaterial von eigens geführten Interviews nicht herausgeben müssen. Zitat des Vorsitzenden Richters Eckart Ratz aus der mündlichen Urteilsbegründung: Wenn ich ein Interview gebe, und es kommen in der Aufnahme viele Leute hinzu und hören das, dann ist es immer noch eine Mitteilung ans Fernsehen, und die ist durch das Redaktionsgeheimnis vor Sicherstellung geschützt.

Mit anderen Worten: Die öffentliche Wahrnehmbarkeit eines Geschehens schließt den Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen NICHT aus. Das Redaktionsgeheimnis sei absolut, da gibt es keine Abwägung bezüglich anderer Interessen - gemeint waren wohl die einer Aufklärung einer tatsächlichen oder vermeintlichen Straftat.

Kein dringender Tatverdacht

Die Bänder bleiben beim ORF, und daran kann nach Feststellung des Höchstgerichts auch die Tatsache, dass der betreffende Reporter von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt wird, nichts ändern; ein Verfahren übrigens, wie ORF-Anwalt Gottfried Korn anmerkte: Auf Zuruf eines Politiker-Chauffeurs. Auch dieser Beschuldigten-Status bricht das Redaktionsgeheimnis im konkreten Fall nicht. Dies wäre nämlich nur dann der Fall, wenn der Reporter DRINGEND, also mit hoher Wahrscheinlichkeit der Tat, in diesem Fall der Anstiftung zu neonazistischen Aussagen verdächtig wäre.

Wieder Zitat Vorsitzender: Ein dringender Tatverdacht ist hier nichtdarstellbar, das ist ja ein Scherz. Wie geht der Senatsvorsitzende damit um, dass die Staatsanwaltschaft den Artikel 144 der Strafprozessordnung nicht beachtet hat, der eine Beschlagnahme nur bei DRINGENDEM Tatverdacht verlangen kann? Milde. Der Sachverhalt sei unüblich, da denke man im ersten Moment nicht dran, für uns am OGH ist es immer leichter, wir haben mehr Zeit.

Verfahren gegen Reporter noch offen

Heute ging es wie gesagt, um ORF-Videobänder, in alleroberster Instanz. Das Verfahren gegen den ORF-Reporter ist noch ganz unten, in erster Instanz. Hier gibt es Hoffnung, meint Gottfried Korn, nicht aufgrund des heutigen Richterspruchs, sondern wegen der Rechtsmeinung der staatlichen Generalprokuratur, die am heutigen Verfahren ebenfalls beteiligt war und praktisch vollinhaltlich die Linie des ORF vertreten hat. Medienanwalt Korn sagt, er habe mehrfach betont, wenn die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt bereit ist, das was die Generalprokuratur in ihrer Beschwerde gesagt hat, ernst zu nehmen, müsste sie das Verfahren gegen den ORF-Journalisten einstellen.

ORF-Anwalt: Weichenstellung

Ebenso milde ging Höchstrichter Ratz bezüglich des Zweiten Aspektes in der heutigen Verhandlung um: Die Tatsache, in ein und demselben Verfahren eine an einem Antrag formal mitbeteiligte Staatsanwältin und ein eine über diesen Antrag mitbeteiligte Richterin Schwestern sind. Zitat: Das schaut zwar furchtbar aus, aber man muss die Kirche im Dorf lassen, es habe da sicher niemand ein Interesse gehabt, der Schwester etwas Gutes zu tun.

ORF-Anwalt Gottfried Korn sieht das möglicherweise etwas anders: In seinem mündlichen Plädoyer meinte Korn sinngemäß, er verzichte auf Respekt vor der Justiz daraus, mündlich vorzutragen, was er von den Vorgängen bei Oberstaatsanwaltschaft und Oberlandesgericht Wien hält. Insgesamt freut sich Anwalt Korn natürlich über den Sieg. Das sei eine Weichenstellung für die gesamte Medienlandschaft in Österreich. Die Entscheidung des ORF, die Bänder nicht herauszugeben, habe sich als retrospektiv als richtig erwiesen.

Abendjournal, 16.12.2010

ORF-Generaldirektor Wrabetz: nun sei über den Anlassfall hinaus klargestellt, dass das Redaktionsgeheimnis ein wesentliches Element der Demokratie ist,

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