Die weltweiten Freunde

Judith Denkmayr über Internetkontakte

"Ich mag die Begegnungen im Internet, weil die sehr niederschwellig beginnen: Sie bekommen eine Kontaktanfrage per E-Mail, und ob Sie den Kontakt dann ausbauen oder sich sogar in real life treffen, das bleibt ganz Ihnen überlassen." Judith Denkmayr, Fachfrau für digitale Begegnungen.

Judith Denkmayr

"Das echte Leben wird definitiv nicht ausgesperrt."

Wie oft begegnet man im "wirklichen Leben" schon jemandem, der einen bleibenden Eindruck hinterlässt? Und wie oft sagt denn jemand im "real life", dass er gerne mit Ihnen befreundet wäre? Im Netz - etwa im sogenannten social network facebook - passiert zumindest Letzteres in Form von "Freundschaftsanfragen" täglich, weiß Denkmayr. Die Inhaberin der Wiener Agentur "social affairs" rät zu "Kontakt on demand", wie es in der Internetgemeinschaft heißt. "Kontakt bei Verlangen" kann zu eindrucksvollen Begegnungen führen, muss aber nicht. Schließlich ist der Mensch im "real life" ohnehin meist in den Klauen des Alltags - und in diesem Zustand gar nicht begegnungsfähig:

"Wir leiden ja oft an einer strukturell bedingten Einsamkeit, das heißt wir haben nicht die Zeit oder auch nicht die Kraft, unsere Kontakte ausreichend zu pflegen. Wenn mich jemand anruft und ich bin gerade im Stress, dann kann ich nicht abheben, dann sammeln sich die Nachrichten auf meiner Mailbox, und es wird immer mühsamer und ich weiß, ich muss zurückrufen - und das dauert alles! Da ist mir die asynchrone Kommunikation über das Web sehr angenehm, weil ich dann die Zeit und die Muße habe. Dann kann ich mich hinsetzen und wirklich das sagen, was mir wichtig ist, und ich hab auch die Zeit dazu. Das heißt, es ist Kontakt on demand!"

Ohne viel Gerede auf den Punkt kommen

"Kontakt on demand", "real life kontakte" oder "asynchrone Kommunikation" - das sind gewiss Begriffe, die nicht gerade durch Poesie glänzen. Man solle das Niveau der sprachlichen Kommunikation im Netz jedoch nicht verächtlich machen, sagt Judith Denkmayr, schließlich sei es auch eine Kunst, ohne allzuviel Gerede auf den Punkt zu kommen:

"Ein Beispiel ist Twitter, da sind die Nachrichten 140 Zeichen lang, da kann man nur sehr schnörkellos kommunizieren. Man muss auf den Punkt kommen, kann nicht alles so umschreiben, die Füllwörter haben keinen Platz, die Aussagen werden oft wesentlich klarer: verkürzt, verknappt, aber klar!"

Friend ist nicht Freund

Begegnungen im Internet beginnen "niederschwellig", wie Judith Denkmayr es ausdrückt, das heißt: die Kontakte werden zunächst ganz unverbindlich und lose geknüpft; zu beachten ist dabei, dass der bei Facebook übliche englische Ausdruck "friends" nicht die gleiche Bedeutung hat wie das deutsche Wort Freund. Man ist zunächst einmal einfach "freundlich" gesinnt. Vor etwa zehn Jahren begann Judith Denkmayr regelmäßig im world wide web zu surfen. Mittlerweile besteht der größte Teil ihres Freundeskreises aus Netzbekanntschaften.

"Das echte Leben wird definitiv nicht ausgesperrt, es ist eine kulturpessimistische Mär, dass diese online-nerds und geeks und freaks in ihre Kastln reinschauen und da nicht mehr herauskommen - und alle werden sie internetsüchtig und weiß Gott was alles. Die Studien, die es zu diesen Themen gibt, sagen, dass ein Drittel aller dieser Online-Kontakte irgendwann zu Offline-Kontakten werden. Und wenn wieder einmal jemand sagt, Online-Kontakte taugen nichts, dann sage ich nur: Mein Online-Kontakt kam beim Umzug und hat mir beim Packen und Übersiedeln geholfen! Damit kann man wohl sagen, es ist ein echter freundschaftlicher Kontakt geworden."

Zu Weihnachten offline

Freundschaftliche Begegnungen im Netz bergen, so Judith Denkmayr, aber weit größere Möglichkeiten als die Rekrutierung von Umzugshelfern. Erst kürzlich legten bekanntlich spontan entstandene Gruppen unter dem Decknamen "Anonymous" die Websites mächtiger US-Unternehmen lahm, um gegen die Ausgrenzung der Aufdeckerplattform WikiLeaks zu protestieren. "Strong ties" nennt Denkmayr jene starken Bande, die zu einer digitalen Ausprägung von bleibenden Begegnungen führen können:

"Ich habe WikiLeaks lange Zeit beobachtet und war mir nicht ganz sicher, wird da jemand etwas hochladen, was relevant ist, gibt's dieses Bedürfnis überhaupt. Und ich bin sehr überwältigt von dem, was da gekommen ist. Wir als Bürger sind Auftraggeber des Staates, wir sind Auftraggeber der Politik - und wir haben das Recht, solche von den Machthabern geheim gehaltene Dinge zu wissen. Wie Ingeborg Bachmann so schön gesagt hat: Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar! Und ich entscheide, was ich an Informationen haben möchte und was ich damit mache!"

A propos: Was macht Birgit Denkmayr am Heiligen Abend? Sie wird im heimatlichen Oberösterreich ihr "Real Life" pflegen - und dabei die Freunde rund um den Globus dennoch nicht aussperren: "Ich werde Weihnachten offline im Kreise der Familie feiern, aber ich werde es mir nicht nehmen lassen, spätestens um 21:00 Uhr einen Blick in meinen Facebook-Stream oder in meinen Twitter-Stream zu werfen, weil das einfach Menschen sind, die mir ans Herz gewachsen sind - und die möchte ich am 24. Dezember eigentlich nicht draußen lassen."

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