Rossini-Glück aus Rom
Ein "Stabat Mater" ohne Makel
Opernhaft-Geistliches vom sonst nicht mehr aktiven Gioachino Rossini bietet sein "Stabat Mater" aus den 1840er Jahren. Mit einem Ideal-Solistenensemble dringt eine Neueinspielung unter der Leitung von Antonio Pappano zu den Tiefenschichten des Werkes vor.
8. April 2017, 21:58
1831 war Gioachino Rossinis Opernkomponisten-Karriere bereits zu Ende. Berühmt und umschwärmt war er nach wie vor, als Ko-Direktor des Théatre Italien, der italienischsprachigen Opernbühne von Paris, und wie in einem Gesellschaftsspiel wurde versucht, ihn zum Doch-wieder-Komponieren zu verlocken. (Was Rossini zur Verzweiflung trieb.)
Das Schicksal ereilte ihn während einer Reise nach Madrid, auf Einladung eines spanischer Bankiers und Industriellen, bei dem Rossini eine Weile logiert hatte.
Ablehnung unmöglich
Der Madrider Erzbischof, enger Freund des Bankiers, wünschte sich ein "Stabat Mater" - höflich-witzige Ablehnung wie sonst immer war also unmöglich. Aber musste es gerade ein "Stabat Mater" sein, wo doch die meisterliche Vertonung des Textes durch Pergolesi überall verherrlicht wurde? Es musste, zum "Honorar" einer goldenen Schnupftabakdose, die mit Diamanten gefüllt war.
Wie groß Gioachino Rossinis innerer Widerwille dennoch blieb, erhellt die Tatsache, dass gut ein Jahr später erst rund die Hälfte der vom Auftraggeber schon grimmig eingeforderten Komposition vorlag. Musikerkollege Giovanni Tadolini sprang inkognito für den Rest ein, damit das Werk endlich zur Aufführung kommen konnte.
Komposition in Etappen
Entgegen den Abmachungen gelangte das derart entstandene Manuskript nach dem Tod des Erzbischofs, Jahre später, zum Verkauf und landete so bei einem Pariser Verleger. Große Aufregung (und Angst vor der Blamage) bei Gioachino Rossini! Es gelang ihm, die Noten an sich zu bringen und den depressiven Schüben, die heute als wahrer Grund hinter seinem Rückzug angesehen werden, die Vertonung der ursprünglich von Tadolini in Musik gesetzten Textteile abzutrotzen.
Paris und Bologna waren die ersten Städte, die 1842 dieses nun komplett von Rossini stammende "Stabat Mater" kennen lernten - und feierten. Welche Eleganz im "Cujus animam" des Tenors! Was für Dramatik im "Inflammatus", in dem sich der Sopran gegen den Chor stemmt! Wie geheimnisvoll das Gegeneinander von Chor und Bass im (Orchester-losen) "Eja, Mater, fons amoris"! Wie sich der Himmel öffnet, wenn sich mit Solistinnen-Jubelton einmal Moll in Dur wendet! Welcher Reichtum im Melodischen, welche beiläufige Kunstfertigkeit im musikalischen Satz! (Der junge Rossini hatte seinerzeit an der Bologneser Akademie Kirchenmusik studiert.) Rossinis Genie war nicht erlahmt, im Gegenteil!
Die Tiefe im "Opernhaften"
Dass geistliche Musik aus der Feder von Opernkomponisten die Kirche (oder den Konzertsaal) zur Bühne macht, ist ein Gemeinplatz, der etwa einer "Messa da Requiem" von Giuseppe Verdi nichts von ihrer Kraft und Einmaligkeit nimmt. Ähnlich verhält es sich bei Rossinis "Stabat Mater", nur bleibt Rossini in ihm selbst in den 1840er Jahren im wesentlichen, von etwas Kontrapunkt und Chor-Weiheton abgesehen, dem Idiom seiner ein Vierteljahrhundert davor entstandenen Opern treu.
Was dem ganzen Werk, gerät es in die Hände von um "Rechtfertigung" bemühten oder zu zimperlichen Interpreten, die Aura des Gepflegt-Gefällig-Glatten verleihen kann. Zu welchen Aussage-Tiefenschichten sich dagegen im Idealfall vordringen lässt, zeigt eine erst im Juli 2010 produzierte Neuaufnahme aus Rom, bei der sich ein ausgesucht homogenes Solistenensemble gemeinsam mit Chor und Orchester der Accademia di Santa Cecilia unter der Leitung von Chefdirigent Antonio Pappano an jeder Nuance von Rossinis Partitur erhitzt und dennoch elegischen Nachklang auslöst.
Ein Traum-Ensemble
Sämig umschmeichelt der Klang von Italiens symphonischem Vorzeige-Orchester den vor allem im Piano farbenreichen Tenorton von Lawrence Brownlee. Der im Bassregister geforderte Ildebrando d'Arcangelo findet sowohl im verhaltenen Aufbegehren als auch mit gereckter Faust im Santa-Cecilia-Chor einen gleich engagierten Partner. Joyce DiDonato, die erst kürzlich in einem überragenden Solo-Album ihre Rossini-Kompetenz am Sektor Seria-Oper bewiesen hat (als Rosina und Cenerentola bereits lange davor), ist emotional, aber ohne "Drücker". Und Anna Netrebko, die für diese Aufnahme von der Deutschen Grammophon an die EMI "ausgeliehen" wurde, singt innig "auf Linie", mit runder, warmer Stimme, so beseelt, dass beim Hören das Herz aufgehen muss.
Alle zusammen, dank Antonio Pappano: mehr als die Summe der Teile. Rossinis "Stabat Mater" mag mehrfach in ähnlich "prominenter" Besetzung für Platte eingespielt worden sein. Ähnlich zu seinem emotionalen Kern vorgedrungen wie von Pappano und seinen Mitstreiter/innen wurde dabei selten.
Service
Gioachino Rossini, "Stabat Mater", Anna Netrebko, Joyce DiDonato, Lawrence Brownlee, Ildebrando D'Arcangelo, Orchestra e Coro de'll Accademia Nazionale de Santa Cecilia, Antonio Pappano, EMI
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