Zum Auftakt des Weigel-Jahres

Weigeliana

Der Kabarettist, Inhaber einer gutgehenden Schriftstellerei und Kritiker Hans Weigel (der mit dieser Reihenfolge seiner Tätigkeiten durchaus einverstanden gewesen wäre) ist 1991 gestorben - und keineswegs dem Vergessen anheimgefallen (was, unmittelbar nach dem Tode, ja beinahe zu den Gepflogenheiten großer Geister gehört).

Kein Vorwort von Hans Weigel

Die Kabarettistin Lore Krainer erzählte - es ist schon etliche Jahre her - in einem ihrer Soloprogramme (mit Musik und pointierten Conférencen und Chansons und Couplets und Parodien, lange, bevor die Soloprogramme ohne das alles erfunden waren), sie sei unlängst verreist gewesen, im schönen Land Tirol, und habe dort in einem dieser selbst für Tirol schon ein wenig altmodischen Hotels genächtigt, wo noch ein Bibelexemplar im Nachtkastelladl liegt. Sie sei fast gerührt gewesen, habe das heilige Büchlein gleich aufgeschlagen und - habe es enttäuscht wieder zurückgelegt: Kein Vorwort von Hans Weigel.

Vergleiche dazu auch: Weigel, Hans, "Nach wie vor Wörter", Styria-Verlag 1985 (heute wäre das in diesem von Weigel in seinen späten Jahren so gepriesenen Verlagshaus nicht mehr möglich, weil leider belletristisch... er hat’s, wie so manches, nicht mehr erleben müssen.) - Damals lautete der Untertitel: "Literarische Zustimmungen, Ablehnungen, Irrtümer".

Geschätzte Irrtümer

Der böse, erbarmungslose Kritiker Hans Weigel legte nämlich Wert auf seine Irrtümer. Im konkreten Fall geht es um die Einführung der Taschenbücher auf dem hiesigen Markt (1959), von der der unermüdliche Literatur- und Autoren-Advokat Weigel eine Entwertung des Buches mit anschließender Verramschung befürchtete. Ganz so unrecht, wie er nachher meinte, hatte er gar nicht - nur war eben der Büchermarkt binnen kürzester Zeit nicht mehr vergleichbar; einerseits. Und anderseits hatte er die Vorteile billiger Taschenbücher tatsächlich grob unterschätzt.

Der zweite in diesem typisch weigelianischen Kompendium vom Meister persönlich eingestandene Irrtum war der in der Beurteilung der nachmals so genannten "Wiener Gruppe", also der Sprachhandwerker um den Dialekt-Intellektuellen und charismatischen Klang- und Aktions-Inszenator Hans Carl Artmann, genannt Ha-Ce. Der bleibe, schrieb Weigel 1958, a propos "med ana schwoazzn dintn", durch seine durchaus un-breitenseerischen Manierismen und, vor allem, durch die geradezu entfremdende phonetische Schreibweise weit unter seinen Möglichkeiten und seinem literarischen Niveau (das ihm Weigel selbstverständlich zugestand).

Und die meisten, die die diesbezügliche Selbstbezichtigung - nämlich die der unverhältnismäßigen Kritik an selbstverliebten Schnörkeln, gemessen an der literarischen Premiere sowie am poetischen Reiz, vergessen, dass Weigel an Bedenklichkeiten vor allem das Vorwort des Hans Sedlmayr anführt, eines zwar durchaus renommierten Kunsthistorikers, dessen literarische Belastung freilich bei weitem nicht an seine damals noch frisch erinnerliche politische heranreichte - was schon Instinktlosigkeit genug gewesen wäre - und dessen auch noch salbungsvoll raunende Einbegleitung ausgerechnet dieser subversiven Artmann'schen Anti-Bürger-Übung in der Tat, wie Weigel schreibt, "mit großem Gewinn für den Band aus demselben herausgeschnitten und vernichtet werden kann".

Sensorium für Aufrichtigkeit

Hans Weigel hatte, bei aller persönlichen Reizbarkeit und aller Begabung zum Ärger bis zur "Ekelhaftigkeit" (H. W. über H. W.) ein untrügliches Sensorium für Aufrichtigkeit und Anstand; ganz im Sinn seines bewunderten, wenn auch keineswegs kritiklos angehimmelten Mentors Karl Kraus, der da pointiert gesagt hatte, um zum Beispiel die Qualität eines Gedichtes wirklich beurteilen zu können, müsse er wissen, wer es geschrieben habe.

(Siehe auch: H. W., "Karl Kraus" oder "Die Macht der Ohnmacht", einer der Bände der von ihm mit-herausgegebenen Reihe literarisch hochwertiger und genussvoll zu lesender biografischer Essays, in der auch ausgezeichnete Arbeiten über Alfred Adler und Gustav Mahler oder auch Gerhart Hauptmann erschienen sind. Hauptmann war eine der literarischen Jugendlieben Weigels, die ihm, als der Dichterfürst sich gefügig in die Arme der Nazi begab, blitzartig verging. Seine bittere Kabarett-Parodie von damals ist heute noch lesenwert...)

Gut gehende Schriftstellerei

Alles, sagte Hans Weigel manchmal, alles was er, der "Inhaber einer gut gehenden Schriftstellerei" schreibe und literarisch unternehme, die ganze Vielfalt von brillanter Molière-Übersetzung im gereimten Original-Metrum über die unzähligen Ausgrabungen, Aus- und Umarbeitungen für sein geliebtes Theater (vor allem jenes in der Josefstadt zu Wien), über all die Chansons und Wienerlieder und Nestroy-Couplet-Strophen, die Essays und auch die Vor-, Nach- Geleit- und sonstigen -worte, bis hin zu den Satiren, den frühen Romanen und Erzählungen - alles das komme letztlich aus der einen unerschöpflichen Quelle: der politischen ebenso wie literarischen Versuchsstation im Wiener Kabarett der Zwischenkriegszeit, aus der sogenannten "Kleinkunst", an der der junge Weigel, 1908 in eine gutbürgerliche Kleinfamilie hineingeboren, sein freies Schriftstellertum erprobte und wo zu lernen war, wogegen man als Humanist zu sein und nötigenfalls zu kämpfen hatte (etwa, wie Weigel, an der Seite des Freundes Jura Soyfer), dass man sich von seinem Charakter unter keinen Umständen was abhandeln lassen dürfe und dass ein Standpunkt noch keinesfalls die Gewähr für eine anständige Haltung darauf sei.

Und dass das wahre, das wahrhaft gefährliche Spießertum nicht links oder rechts von irgendwo, sondern überall zu bekämpfen sei, wo selbstgerechte Häme, selbstzufriedene Indolenz oder gar billiger Zynismus sich breit machten (also gegebenenfalls auch in sich selber). Dass eine Pointe nichts mit Witzeerzählen, sondern mit kurzschlüssigem Esprit zu tun habe, ebenso wie Satire nichts mit patziger Bestätigung sämtlicher im Publikum vorhandenen Vorurteile, sondern mit analytischem Sprachwitz - eine besonders schwierige (und von Weigel mit besonderer Virtuosität geübte) Disziplin.

Die Naturgesetzlichkeit der Erinnerung

Und von alldem ist, bis auf den heutigen Tag, nicht viel mehr in Erinnerung geblieben, als dass Hans Weigel ein Theaterkritiker gewesen sei, und zwar ein besonders grauslicher.

Das ist merkwürdig. Denn der Vielschreiber Weigel hat ganze acht Jahre lang überhaupt Kritiken geschrieben, und die sind - wie jederzeit überprüfbar - in der krassen Minderzahl so etwas wie "Verrisse".

Hans Weigel, dem diese völlig unsachliche Verzerrung seines Bildes in der Öffentlichkeit bewusst war, sprach gern von einer Naturgesetzlichkeit, nach der sich zwei, drei Bissigkeiten eben besser einprägten als hundert freudige Zustimmungen.

Uns will scheinen, als wären wir diesem Naturgesetz schon hunderte, vielleicht sogar tausende Male auf der Straße begegnet und wären ob der jahrzehntelang konservierten, hässlichen, immergleichen Fratze jedes Mal wieder erschrocken.

Was umso wahrscheinlicher ist, als Hans Weigel genau darüber ("Man kann nicht ruhig darüber reden", 1986) nur sehr ungern sprach.

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Wikipedia - Hans Weigel