Die Hintergründe der "Atemschaukel"
Müller, Pastior und die Securitate
Herta Müllers Buch "Atemschaukel" basiert im Wesentlichen auf den Erfahrungen ihres Schriftstellerkollegen Oskar Pastior in einem sowjetischen Straflager. 2009 ist das Buch erschienen, im selben Jahr hat Herta Müller den Nobelpreis zugesprochen erhalten. Im Herbst wurde bekannt, dass Pastior Informant des rumänischen Geheimdienstes war. Müller zeigte sich entsetzt. Ö1 bringt nun die Hörspielfassung des Romans.
8. April 2017, 21:58
Würdigung des Widerstands
Bei der feierlichen Nobelpreisverleihung im Stockholmer Konzerthaus hob der Sprecher der Jury, Anders Olsson, die Konsequenz heraus, mit der sich die seit 1987 in Berlin lebende Autorin gegen die Unterdrückung in der kommunistischen Diktatur ihres Geburtslandes Rumänien gewehrt hat: "Sie haben großen Mut gehabt und provinzieller Unterdrückung und politischem Terror kompromisslos Widerstand geleistet."
Müller bekomme den Nobelpreis "für den künstlerischen Gehalt dieses Widerstands", sagte der Vertreter der Schwedischen Akademie weiter. "In ihrer Prosa findet sich eine sprachliche Energie, die uns von Beginn an mit einbezieht. Es steht etwas auf dem Spiel, bei dem es um Leben und Tod geht."
Zusammenarbeit mit Pastior
Maßgeblich geht diese Krönung ihres literarischen Schaffens auf das Buch "Atemschaukel" zurück. . Grundlage für den Roman waren die Erlebnisse ihres Freundes und Schriftstellerkollegen Oskar Pastior (1927-2006) in einem sowjetischen Lager. "Es war das große Glück, dass er mir über die Lager erzählt hat - in so genauen, poetischen Erinnerungen, dass ich sagte, wir schreiben das Buch zusammen", erinnerte sich Müller.
Dazu kommt es nicht. Pastior, 26 Jahre älter Müller, stirbt 2006 unerwartet während der Frankfurter Buchmesse - der Georg-Büchner-Preis konnte ihm nur noch posthum verliehen werden. "Ich hatte vier große Hefte mit Notizen und vielleicht 30, 40 Seiten Text, die wir getippt hatten", erzählt Müller. "Das war wie ein Brachland."
Zunächst gibt sie den Gedanken auf, das Buch zu schreiben: "Ich hatte ja in erster Linie einen sehr nahen Freund verloren. Ich musste mich verabschieden von dem Wir". Doch nach einem Dreivierteljahr wagt sie sich langsam wieder an die Notizen heran, rekonstruiert die Geschichten so gut es geht in seinem Sinne, schreibt mit dem Gedanken an sein Schicksal weiter. "Ich habe ihn gezwungen, noch ein bisschen zu leben, als ich an dem Buch gearbeitet habe."
Und dann die Enthüllung
Oskar Pastior war von 1961 bis 1968 unter dem Decknamen "Otto Stein" Informant des kommunistischen Geheimdienstes. Das berichtet der Münchner Germanist Stefan Sienerth in der wissenschaftlichen Vierteljahresschrift "Spiegelungen". Sienerth hatte zusammen mit seinem Kollegen Peter Motzan in den Archiven der rumänischen Behörde zur Aufarbeitung der Securitate-Akten, CNSAS, recherchiert.
Pastior sei wegen nicht systemkonformer Gedichte, deren Manuskripte er bei einer Freundin versteckt hatte, von der Securitate zunächst in ein langes, schweres Verhör genommen worden. Unter dem Druck des Verhörs habe Pastior schließlich am 8. Juni 1961 schriftlich eingewilligt, der Securitate als Informant zu dienen. Dies dauerte bis zu Pastiors Ausreise in den Westen, 1968. Vor der Rekrutierung habe die Securitate Pastior seit dem Jahr 1957 systematisch beobachtet, ebenso wie die gesamte damalige rumäniendeutsche Literatenszene.
Herta Müllers Reaktion
Müller ist nach anfänglicher Verteidigung über neue Enthüllungen im November "entsetzt" und "verbittert". Die "Atemschaukel" hätte sie in Kenntnis der Vorwürfe wohl so nicht geschrieben, sagt sie in ersten Reaktionen.
In ihren letzten Stellungnahmen zu dem Themenkreis relativierte Müller ihre Aussagen. Die Literaturnobelpreisträgerin will weiter die Spitzel-Vergangenheit ihres Freundes aufarbeiten. Der Inhalt der bisher veröffentlichten Akten sei aber harmloser, als sie bei deren Veröffentlichung vor rund drei Monaten befürchtet hatte, sagte Müller Mitte Dezember.
Es gebe "schlimme Dinge" aus der Zeit der rumänischen Diktatur, räumte Müller ein. "Diese sind es nicht", fasste sie aber den Inhalt von drei bisher gefundenen Spitzelberichten Pastiors zusammen. Dennoch wolle sie weiter in rumänischen Archiven zu Pastiors Tätigkeit als "Inoffizieller Mitarbeiter" (IM) des Geheimdienstes Securitate forschen.
Ihrer Ansicht nach sei Pastior wegen seiner Werke und seiner Homosexualität so sehr unter Druck gesetzt worden, dass er schließlich der IM-Arbeit zugestimmt habe. "Ich kenne so viele Spitzel aus meiner Akte, die auch in Deutschland leben, die haben ohne Gefahr die IM-Erklärung unterschrieben", sagte Müller.
Es irritiere sie nicht, dass Pastior ihr die Spitzeltätigkeit verschwiegen hat, sagte Müller am Donnerstag. Wenn man in einem repressiven System jahrelang Schweigen gewohnt gewesen sei, rede man auch danach nicht leicht über Persönliches.