Hörspiel nach dem gleichnamigen Roman von Herta Müller

Atemschaukel

"Es ist", schrieb Karl-Markus Gauß in der "Süddeutschen Zeitung" bald nach Erscheinen im August 2009, "ein erschütternder Roman, das beste Buch, das Herta Müller, die schon für so viele Prosa- und Essaybände zu rühmen war, geschrieben hat, ein verstörendes Meisterwerk."

Es sei "ein verstörendes Meisterwerk, mutig und sprachschöpferisch, ein Versuch, aus dem Inneren der Hölle zu sprechen, einer ganz eigenen, bildstarken Sprache, die dort Worte finden muss, wo die herkömmlichen versagen, das Grauen nicht zu fassen vermögen", so Gauß weiter.

Wenige Monate später, im Dezember 2009, wurde die 1953 in einer deutschsprachigen Familie in Nitzkydorf im Banat geborene Herta Müller für ihr Gesamtwerk mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. In der "Atemschaukel", ihrem bisher letzten Roman, greift Herta Müller ein grausames aber wenig bekanntes Stück Zeitgeschichte auf.

Deportationen

Im Jänner 1945 wurde die rumänische Regierung von den Sowjets aufgefordert, alle in Rumänien lebenden Deutschen im Alter zwischen 17 und 45 als Zwangsarbeiter in die Sowjetunion zu schicken. Ein halbes Jahr zuvor hatte das mit Nazideutschland verbündete Rumänien der Sowjetunion den Krieg erklärt. Die zum Teil seit Jahrhunderten in Siebenbürgen, in der Bukowina und im Banat lebenden Deutschen sollten dafür bestraft werden - und landeten als eine Art menschlicher Reparationszahlung in den Arbeitslagern Stalins. Tausende kamen dabei ums Leben.

Es war drei Uhr in der Nacht zum 15. Januar 1945, als die Patrouille mich holte. Die Kälte zog an, es waren minus 15 Grad Celsius.

So beginnt der Bericht des 17-jährigen Sachsen Leopold Auberg über seine Deportation. Was Leopold im Folgenden während seiner fünfjährigen Haft erlebt, erinnert an Berichte aus deutschen Konzentrationslagern oder an die Beschreibungen Alexander Solschenizyns in "Der Archipel Gulag". Leopold erzählt vom Hunger, der Kälte, dem Grauen und von seinen Überlebenstechniken vor allem durch die Sprache und die Kraft der Imagination.

Zerstörerische Diktaturen

Den Stoff für ihren Roman hatte Herta Müller zusammen mit dem rumäniendeutschen Lyriker und Büchner-Preisträger Oskar Pastior konzipiert. Nach seinem Tod im Jahr 2006 vollendete sie das Werk, gestützt auf unzählige Notizen und detailgenaue Erinnerungen Oskar Pastiors, allein.

Ihrem Generalthema ist die seit 1987 in Deutschland lebende Nobelpreisträgerin auch in der "Atemschaukel" treu geblieben. Schon in ihren früheren Arbeiten war sie, mit mikroskopischer Genauigkeit und einer stets kunstvollen Sprache, der Frage nachgegangen, wie Diktaturen und totalitäre Systeme die Beziehungen der Menschen infizieren, sich festsetzen und ihr zerstörerisches Werk selbst im unpolitischsten Bereich vollenden.

Der deutsche Regisseur Kai Grehn hat die "Atemschaukel" 2010 im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks bearbeitet und inszeniert. Für seine Soundrecherchen begab er sich auch auf das Gelände der Kokschim-Fabrik im ukrainischen Nowo Gorlowka. Dort hatte Oskar Pastior viereinhalb Jahre als Zwangsarbeiter gearbeitet. In der stark verdichteten aber dennoch knapp eineinhalbstündigen Produktion spielen unter anderem Alexander Fehling, Lars Rudolph und, als alternder Erzähler, Vadim Glowna.