Der Schriftsteller Jürg Amann über den Tod
Nie im Leben
"Der Tod gehört zum Leben, im Gegenteil, er ist der absolute Gegensatz zum Leben, er beendet von einem Herzschlag zum andern, der nicht mehr stattfindet, dieses Leben. Also gehört er gerade nicht zum Leben. Er ist das erste nach dem Leben. Er beendet mein Leben. Brutal, mit dem Fallbeil. Zack, weg."
8. April 2017, 21:58
Wenn es wenigstens eine kleine, eine winzig kleine Chance gäbe, dass es für einmal gut ausgehen könnte, das Leben wäre leichter zu bestehen, aber es geht nicht gut aus, nie, es geht nur aus.
2008 erscheint im Haymon Verlag "Nichtsangst" des Schweizer Autors Jürg Amann. "Fragmente auf Tod und Leben" heißt es im Untertitel. "Es ist, glaube ich, um die 50 herum die Idee entstanden, alle meine Sätze, die ich in dreißig Jahren vorher ins Tagebuch geschrieben habe, die mit dem Tod zu tun hatten, zu ordnen und dann auf den roten Faden aufzuziehen."
"Nichtsangst" meint die Angst vor dem Nichts, die Angst vor dem Tod. Es ist ein Katalog aus losen Sätzen und Sequenzen, die sich gegen alles Endliche stemmen, die er aber selbstredend "braucht, um überleben zu können. Das Buch beginnt mit der lapidaren Feststellung:
Der Tod ist der Fehler in der Welt.
Den Tod überlisten
"Das Leben ist der möglichst lange verhinderte Tod", meint Amann. "Und so sehe ich auch die Entwicklung der Geistes- und Wissenschaftsgeschichte; wir sind immer dabei, nach Tricks zu suchen, um den Tod noch eine Weile möglichst lange zu überlisten. Ihm immer nochmal eine Spanne Leben abzugewinnen."
Wenn man vom eigenen Tod träumen würde, würde man sterben. Deshalb erwache man kurz vorher. Sagen die, die es zu wissen glauben. Woher eigentlich. Diejenigen, die daran gestorben sind, haben ihnen ihren Traum nicht erzählt.
"Ich bin kein Lebenshasser geworden, ich bin ein Todeshasser gewesen von früh auf und geblieben bis heute", so Amann. "Aber die andere Seite, das Leben, das leider auf den Tod hin angelegt ist, will ich trotzdem lieben. Bis dahin, bis knapp davor, weil ich immer hoffe, dass dieser heilige Zorn ein Zorn für das Leben ist und nicht gegen etwas."
Bei vollem Bewusstsein sterblich zu sein, das ist das Elend des Menschen.
Immer zu wenig Leben
Es wird immer so bleiben, der Hunger nach Leben ist nicht zu stillen. Es ist immer alles zu wenig, wie viel zu allem noch hinzukommt.
"Es wäre einfach ein Aufgeben, dass mir einfach die Kraft fehlt, gegen etwas zu kämpfen, was eh schon gegen die Tür gepocht hat. Solange es noch in der Landschaft draußen hinter einem Baum auf mich wartet, kann ich noch weiterleben und versuchen, um diesen Baum herumzugehen, so lange wie möglich. Aber wenn er schon eintritt ins eigene Haus, dann müsste ich ihn nolens volens dann willkommen heißen und ihm folgen."
In manchen Orten steht das Spital direkt neben dem Friedhof. Ermutigend für die Kranken, vom Fenster aus zu sehen, wohin sie kommen und wie nah sie schon sind. Man müsste untersuchen, ob sie dadurch schneller resignieren oder wieder gesund werden.
Nicht aufgeben
Jedenfalls wird man mich, solange ich Lebenskraft in mir habe, nicht mit tausend Pferden aus diesem Leben schaffen. Meine trotzige, eigensinnige Natur, besser Gegennatur, verbietet mir aufzugeben.
"Ich glaube, das Leben ist der Preis für den Widerstand gegen den Tod", meint Amann. "Natürlich ist das ein lebenslänglicher, vergeblicher Kampf. Der Preis ist sehr hoch, andererseits gibt es keinen geringeren."
Was für ein Trost: Das Tote ist ewig! (...) Das Versprechen der Religion von einem anderen Leben, es nimmt dem Tod seinen Schrecken. Aber woran sonst, wenn nicht am Tod, soll ich mein Leben messen?
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Jürg Amann, "Nichtsangst", Haymon Verlag
Haymon Verlag - Nichtsangst