SPÖ tagte zum Thema Netzpolitik
Das Urheberrecht ist überholt
Die SPÖ hat am Freitag, 14. Jänner 2011 zu einer Enquete zum Thema "Neue Netzpolitik" in das Parlament geladen. Sonja Ablinger, Kultursprecherin der SPÖ, betonte dabei, dass es eine "hochpolitische Frage" sei, wie der Zugang zum Wissen im Internet reguliert wird.
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 17.01.2011
Es gehe um das klassische sozialdemokratische Thema der Verteilungsgerechtigkeit. Der thematische Schwerpunkt der Veranstaltung lag dabei auf den Problemen des Urheberrechts, da sich dieses ganz im Gegenteil zum Kulturschaffen nicht verändert habe.
Anschluss verloren
In einem Punkt sind sich die Experten einig: Das Urheberrecht hat den Anschluss an technische und gesellschaftliche Entwicklungen verloren und ist in seiner heutigen Form überholt. Im Wesentlichen geht das in Europa gültige Recht auf Prinzipien zurück, die Anfang des 20. Jahrhunderts festgelegt worden sind. Die aus der deutschen Romantik stammende Vorstellung vom Künstler als einsames Genie habe sich spätestens mit dem Internet hin zu einer Kreativität der Massen gewandelt, so der deutsche Jurist und Urheberrechtsexperte Till Kreutzer.
Es gebe heute eine noch nie dagewesene Kreativität in der Gesellschaft, so Kreutzer. Der Nutzer ist über die technischen Möglichkeiten und digitale Mediensysteme längst auch zum Produzenten geworden, der über das Netz seine Werke einem breiten Publikum zugänglich machen kann. Es sei eine "Remix-Kultur" entstanden, deren Praktiken mit dem geltenden Recht nicht kompatibel seien.
User werden kriminalisiert
Beispiel: Youtube, wo häufig geschütztes Bild- oder Tonmaterial in Videoclips umorganisiert und vermischt den Weg zurück ins Netz findet. Der Webkonsument ist zugleich auch Produzent - ein so genannter Producer. Ein Szenario des vom geltenden Urheberrecht nicht vorgesehen ist, und somit breite Bevölkerungsschichten kriminalisiert.
Es liege in der Natur des Netzes, dass User kommunizieren und sich austauschen - Inhalte sind überall und ständig verfügbar, Informationsmaterial wandert, es wird weiterverarbeitet und weiterverbreitet. Das geltende Recht stehe hier einem produktiven Prozess im Wege, und arbeite an der Realität vorbei. Es sei dies eine Verschwendung von geistigen und kreativen Ressourcen, so die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hoffmann vom Wissenschaftszentrum Berlin.
Fortschritt behindert?
Und Till Kreutzer zieht ein Beispiel aus der Literaturgeschichte heran: Das momentane System behindere so den kulturellen Fortschritt und den kreativen Schaffensprozess. Und es führe gleichzeitig zu einer Kriminalisierung der User, die sich mit längst alltäglichen Praktiken in einem schwer durchschaubaren System außerhalb der Rechtsnormen bewegen - häufig ohne sich dessen bewusst zu sein.
Doch praktikable Lösungsvorschläge lassen sowohl von Seiten der Industrie, als auch von Seiten der Politik auf sich warten. Das häufig vorgebrachte Argument der Gratismentalität will Kreutzer jedenfalls nicht gelten lassen. Sonst hätten sich Onlinedienste wie iTunes, wo der Konsument im Gegensatz zu den Tauschbörsen für Musik und Filme bezahlt, nicht etablieren können.
Rechte der Nutzer werden untergraben
Beide Experten fürchten bei den aktuellen Entwicklungen eine Fortsetzung der Kriminalisierung von Nutzern. Denn während die Politik unter dem Druck der Unterhaltungsindustrie ohnmächtig scheint, werden die Rechte der Nutzer, die keine Lobby hinter sich haben, zunehmend untergraben.
Hoffmann führt hier anhand Google Books ein weiteres Problem an: Wenn sich der Konsument heute ein Buch in digitaler Form kauft, so erwirbt er sich die Zugriffs-, aber nicht mehr die Verwertungsrechte. Er darf das Buch weder herunterladen, noch kopieren oder ausdrucken. Die Anbieter diktieren hier die Nutzungsbedingungen auf Kosten der Konsumenten.
Zugang zu Wissen ermöglicht
Grundsätzlich begrüßt Hoffmann Initiativen wie jene von Google, da hier Zugang zu Wissen ermöglicht, und somit Ressourcen bereitgestellt werden. Die Wissenschaftlerin warnt zugleich aber auch vor einer Monopolisierung durch Großkonzerne wie Google. Es brauche hier einen breiten gesellschaftlichen Konsens und neue Lösungsansätze.
Fair-Use-Bestimmungen
Einen möglichen Ansatz zur Reformierung des europäischen Urheberrechts im Hinblick auf transformatives Werkschaffen sieht Till Kreutzer in den US-amerikanischen Fair-Use-Bestimmungen, die die Weiterverarbeitung von Material zulassen, solange das neue Produkt die Vorlage nicht beeinträchtigt. Während das europäische Urheberrecht allumfassend sei und Sonderfälle in sogenannten Schrankenregelungen klar definiert, sei das amerikanische Modell dynamischer und anpassungsfähiger.
Doch gerade die Tatsache, dass der Einzelfall vor Gericht geklärt werden muss, ist für Jeanette Hoffmann auch ein klarer Nachteil dieses Modells.
Kulturflatrate "zu oberflächlich"
Kreutzer könnte sich am ehesten ein Mischmodell vorstellen, was aber ebenfalls ein generelles Umdenken voraussetze. Und auch die zuletzt vermehrt diskutierte Kulturflatrate, das Konzept einer gesetzlich geregelten Pauschalabgabe, die an die Rechteinhaber verteilt wird, halten die Experten für einen zu oberflächlichen Lösungsansatz. Guter Rat ist hier teuer, doch die Zeit drängt.
Sowohl Jeanette Hoffmann als auch Till Kreutzer zweifeln an einer baldigen Revolution des Urheberrechts, sind sich aber darin einig, dass es langfristig eine geben muss. Denn je mehr Menschen sich im Netz bewegen und Inhalte ins Netz laden, desto mehr Bürger sind auch vom Urheberrecht betroffen. Ein schwieriges Unterfangen - vor allem wenn man bedenkt, dass wohl nur eine supranationale Regelung geistiger Eigentumsrechte im World Wide Web wirklich Sinn machen würde.