Amerikas geheime Welt

Top Secret America

In den USA ist in den letzten zehn Jahren eine Industrie geheimdienstlicher Tätigkeiten entstanden, die alle Dimensionen sprengt. 50.000 Berichte werden jährlich von über 300 Behörden geschrieben, die meisten werden wegen dieser Masse nie gelesen.

Eine Reporterin der Washington Post, Dana Priest, hat zwei Jahre lang über Amerikas Geheimdienste recherchiert - und erstaunliche Ergebnisse geliefert. Dana Pries ist diejenige Journalistin, die als erste die illegalen CIA-Gefängnisse im Ausland entdeckt und die Foltermethoden unter der Bush-Regierung bloßgestellt hat.

Die "parallele Geographie" Amerikas

Wer im Internet auf das Videoportal "Top Secret America" klickt, der ist schon mitten drin - nicht in einem Buch oder Kinothriller, sondern mitten in der Wirklichkeit - einer geheimen Wirklichkeit, die die Journalistin Dana Priest erforscht und deren Puzzleteile zusammengesetzt hat.

"Es gibt in den USA so etwas wie eine "parallele Geographie" - Orte, von denen man nichts weiß, obwohl sie mitten in unseren Städten liegen. Diese Orte fallen nicht auf, sie sind nicht mit hohen Mauern umgeben, sondern sie fügen sich unmerklich in die Stadtlandschaft ein. Wir haben diese Gebäude auf eine Karte eingetragen - und so ist eine ganz neue Landkarte der USA entstanden. Die Hauptstadt der USA wäre demnach ein Vorort von Baltimore.

In dieser geheimen Welt leben 850000 Amerikaner mit Top Security Status - sie arbeiten an zehntausend Orten in den USA."

Als Dana Priest mit ihren Recherchen begann, hatte sie keine Ahnung vom Ausmaß dieser geheimen Welt. 3.100 Institutionen in Amerika beobachten und bekämpfen den Terrorismus. Fast eine Million Arbeitnehmer bilden eine eigene Kaste innerhalb des amerikanischen Arbeitsmarktes, mit einer eigenen Ethik und eigenen strengen Regeln. Menschen, die sich abschotten von der Welt und doch genau diese Welt erforschen und erklären sollen. Isolierte Individuen, von denen Dana Priest meint, sie seien ein bisschen wie jemand, der im Keller Videospiele spielt und sich dann nicht mehr in die Wirklichkeit traut, weil er Angst bekommen hat vor der Welt da draußen.

Auf den Spuren der Geheimdienste

Was aber tun eigentlich all diese Menschen mit Top Security Status? Genau weiß das keiner. Selbst Verteidigungsminister Robert Gates gibt zu, der geheime Komplex sei so stark gewachsen, dass er kaum noch zu überschauen ist. Jedes Jahr liefern die Dienste rund 50.000 Berichte ab - so viele, dass sie schon wegen ihrer Menge zum Großteil gar nicht gelesen werden können. Dazu kommt: Oft überschneiden sich die Tätigkeiten der Dienste. So haben allein 51 staatliche Stellen und Militärkommandos die Aufgabe, Geldbewegungen von und zu terroristischen Netzwerken zu verfolgen - eine Arbeit, die von einer Organisation möglicherweise besser und sicher überschaubarer geleistet werden könnte

Diana Priest war bei den US-Kampfeinsätzen in Somalia, im Kosovo und im Nahen Osten dabei. Doch die Kriege im Irak und in Afghanistan - das war etwas völlig Neues, meint sie. Es seien weniger Kriege der Armee gewesen als des Geheimdienstes. Und nichts sei schwerer, als den Geheimdiensten auf die Spur zu kommen. Zwei Jahre dauert es, bis der erste Artikel zu "Top Secret America" erschien. Stück für Stück trug sie kleinste Informationen zusammen, ständig bemühte sie sich "Quellen" zu finden - eine fitzlige Detailarbeit, die nichts zu tun hat mit dem glamourösen Klischee einer Enthüllungsjournalistin.

Enthüllungsjournalismus kaum mehr gefragt

Enthüllungsjournalismus wird in den USA kaum noch praktiziert. Er ist in eine Krise geraten, weil er relativ teuer und zeitintensiv ist. Die Verlage aber wollen im Zeitalter der Zeitungskrise schnelles Geld sehen. So finden sich auch hervorragende investigative Journalisten auf der Straße wieder. Das Unternehmen Time Inc. feuerte seine beiden bekanntesten Enthüllungsjournalisten, angeblich aus Kostengründen - und kaufte im selben Monat Babyfotos der Kinder von Brad Pitt und Angelina Jolie ein - für vier Millionen Dollar.

Besonders erschreckend: in den USA ist die Situation unter Obama keineswegs besser geworden, sondern erstaunlicherweise eher schlechter.

"Obama hat die illegalen Gefängnisse der CIA aufgelöst, er liefert keine Gefangenen mehr an Drittländer aus, er versucht, Guantanamo zu schließen. Aber er nutzt geheime Operationen ebenso aggressiv wie Bush - vielleicht sogar in noch aggressiverer Weise. Denn Obama versucht nicht mehr, wichtige Verdächtige zu fangen - er schickt Spezialeinheiten los, um diese Leute zu töten", sagt Priest.

Und wo sollte er sie auch, wenn er sie fangen würde, hinstecken? Er kann sie ja nicht mehr nach Guantanamo bringen, weil das geschlossen wird. Der einzige Ort, wo er sie festsetzen könnte, wäre Afghanistan, aber das erlauben die Afghanen nicht, denn wenn es herauskäme, wäre das für Karsai eine Katastrophe. Amerika fängt keine mutmaßlichen Terroristen mehr - es ist einfacher, sie zu töten.

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Washington Post - Top Secret America