Frédéric Beigbeiders Autobiografie

Ein französischer Roman

Vor zehn Jahren war dem französischen Popliteraten mit einer Farce aus der Scheinwelt der Werbung international der Durchbruch gelungen, "39,90". Jetzt hat der Ex-Werbetexter, -Verlagslektor und aktive DJ, Journalist und Fernsehmoderator Frédéric Beigbeider seine Autobiografie geschrieben. Mit 45 Jahren.

Der Roman setzt da ein, als Beigbeider seinem Vorbild, dem amerikanischen Schriftsteller Bret Easton Ellis, eines Nachts Reverenz erweisen will, indem er Koks mitten auf der Straße und von der Motorhaube eines Autos snifft. Er wird festgenommen und beschließt, während der 48 Stunden-Haft in einem Pariser Gefängnis, seine Lebensgeschichte zu Papier zu bringen.

Von Helden und Dummheiten

"In 'Ein französischer Roman' beschreibe ich, wie eine Familie binnen zweier Generationen erst Helden der Résistance hervorbringt, dann Gelehrte, Menschen, die in ihren großen Häusern Dichter und Denker empfingen, bis am Ende einer kam, der in seiner verspäteten Pubertät einige Dummheiten beging", sagt Frédéric Beigbeider, und meint damit sich selbst.

"Und ich finde, diese familiäre Entwicklung entspricht auch ein wenig der Entwicklung unseres Landes. Wir sind ein altes Kolonialimperium, aus dem heute ein kleines armes Land geworden ist. So ist es doch."

Teil der Haute Volée

Frédéric Beigbeider, der mit seinem neuen Roman den großen Wurf versucht: den Absturz der Grande Nation mit seinem eigenen in eins zu setzen. Zweifellos wäre das dann ein erhebender Untergang, in derart guter Gesellschaft. Aber Beigbeider geht überhaupt nicht unter. Er ist in der französischen Mediengesellschaft überaus präsent. Als TV-Moderator, Kolumnist, Buchkritiker auf allen Kanälen, in allen Medien offenbar hochwillkommen. Er ist Teil der Haute Volée: Carla Bruni warb in einem T-Shirt mit Aufdruck "Au secours pardons" für einen seiner Romane, Sarkozy machte ihm Komplimente:

"Ja, ich habe ihn getroffen", sagt Frédéric Beigbeider, "und zwar mehrere Male in Fernsehsendungen. Er sagte, Herr Beigbeider, ich hätte gerne Ihr Talent. Er ist sehr verführerisch. Das ist Teil ihres Jobs: Wer als Politiker wiedergewählt werden will, der muss verführen können. Er ist also eher sympathisch, wenn man ihn trifft. Aber seine Politik ist in mancher Hinsicht furchterregend."

Ein Mann "ohne Fundament und ohne Keller"

"Eine französische Familie", geadelt mit dem zweitwichtigsten Literaturpreis Frankreichs, dem Prix Renaudot, zeigt aber nicht den Niedergang Frankreichs, und der der Familie bleibt ein behaupteter. Der Roman zeigt etwas anderes: einen Mann, der nie recht er selbst wurde. "Ich bin auf Pfählen gebaut, ohne Fundament und ohne Keller", zitiert Beigbeider André Gide, um in eigenen Worten fortzufahren: "In der Sprache der Psychiatrie heißt so etwas 'Ichstörung'. Ich bin eine hohle Form, ein Leben ohne Grund."

Das Buch ist Geständnis und Anmaßung zugleich. Wir erleben einen haltlosen Frédéric Beigbeider, einen notorischen Kokser und Nachtschwärmer, einen Frauenhelden, der am Ende tatsächlich hofft, von seiner achtjährigen Tochter gerettet zu werden:

"Chloé, meine Tochter, ist das einzige Licht in meinem Buch, denn das ist ansonsten ja ziemlich düster. Ein Hoffnungsschimmer: Vielleicht ist ja doch nicht alles so schmutzig?"

Gegensätzliche Reaktionen der Familie

Frédéric Beigbeider ist kein Sympathieträger. Im Buch gibt er mit seiner Prominenz an, geriert sich als misshandelter Künstler, der sein Linkssein wie eine Absolution für Gesetzesübertretungen und Rücksichtslosigkeiten aller Art vor sich herträgt. Aber er beschreibt sich eben auch als einen, der seine Kindheit sucht, verwirrt von den Lügen der Eltern, ihrem Schweigen und Desinteresse.

"Eine französische Familie" ist die Autobiografie Beigbeiders und bevor sie erschien, legte er das Manuskript allen Mitgliedern dieser Familie vor, seiner Mutter, Christine de Chasteigner de La Rocheposay, die zeitweilig als Übersetzerin Barbara Cartlands arbeitete und sich ein paar Jahre nach der Hochzeit scheiden ließ von seinem Vater, einem Head-Hunter, der stets in Partylaune sich am liebsten mit schwedischen Models amüsierte. Und er legte dieses Manuskript seinem Bruder Charles vor, dem wohlhabenden Unternehmer:

"Die Reaktionen waren gegensätzlich, mehr oder weniger genervt oder auch amüsiert", erzählt Beigbeider. "Aber sie wollten nicht, dass ich etwas ändere. Das war die Hauptsache."

Die Sehnsucht, geliebt zu werden

Blendet man die Elogen auf eine großartige Vergangenheit der Familie aus, die Tiraden gegen die Pariser Polizei, die ihn festnahm, nach dem er mitten auf der Straße Koks geschnupft hatte, ebenso die unerträglichen Selbstbemitleidungen als gefallener Sohn, dann bleibt immer noch ein interessanter Rest. Die bestürzend ehrliche Geschichte einer seelischen Verwahrlosung, ungeschönte Not und gellende Sehnsucht, geliebt zu werden. Die Geschichte seiner Kindheit, die Beigbeider erst recherchieren musste, denn er erinnerte sich an nichts.

"Meine Analytikerin sagt, dass ich auf diese Weise Traumata verdecke. Die Scheidung meiner Eltern zum Beispiel. Es ist wahr, dass meine erste Erinnerung mit dem Jahr der Scheidung zusammenfällt: 1972. Im Alter von sieben Jahren sehe ich mich an einem Strand mit meinem Großvater, das ist in Guéthary, dem Dorf, in dem meine Eltern geheiratet haben. Ich erinnere mich an diesen Ort wie an ein verlorenes Paradies."

Aber es gebe noch andere Gründe, sagt Beigbeider: Das Kokain. Durch Kokain verliert man auch das Gedächtnis.

Peter-Pan-Syndrom

Beigbeider, dessen Autobiografie "Eine französische Familie" sich wie ein Befreiungsschlag liest, will damit keinen Neuanfang einläuten. Der etwas mitgenommen wirkende 45-Jährige hat sich für den Abend auf den Hamburger Kiez verabredet, obwohl er am Vortag, wie er freimütig zugibt, in Berlin schon abgestürzt war.

"Ich habe eine Art Peter-Pan-Syndrom. Ich möchte immerzu mit jungen Leuten ausgehen, über die Stränge schlagen, Tanzen gehen und all das. Aber früher hätte ich mich in einem solchen Interview die ganze Zeit dafür entschuldigt. Das mache ich jetzt etwas weniger. Was bedeutet: Ich werde älter."

"Ein französischer Roman" ist alles zugleich: peinlich, anrührend, ehrlich, verlogen, arrogant, kleinlaut, angeberhaft und sentimental. Der Roman eines bekennenden krankhaften Narzissten, der nicht weiß, ob er vielleicht Napoleon ist oder eine Laus. Dass das Buch in Frankreich mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet wurde, sagt viel über die innere Verfasstheit des Landes. Und nur durch diesen Preis wiederum erhält der Titel nachträglich einen Sinn.

Service

Frédéric Beigbeider, "Ein französischer Roman", aus dem Französischen übersetzt von Brigitte Große, Piper Verlag

Piper - Ein französischer Roman