Vertreter "menschlicher Werte"

Protest von Andras Schiff

Seit Jahresbeginn ist der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban EU-Ratspräsident. Dieses Ereignis hat der aus Ungarn stammende Pianist Andras Schiff zum Anlass genommen, um die Regierung seines Heimatlandes zu kritisieren. Außerdem hat er Künstlerkollegen aufgerufen, sich für die Erhaltung der moralischen Grundwerte einzusetzen.

Kulturjournal, 24.01.2011

Es sei die Sorge um Europa und seine humanistischen Werte gewesen, die ihn bewogen habe, sich gegen die ungarische Regierung zu engagieren, sagt Andras Schiff. Er fühle sich "sehr stark europäisch", das bedeute für ihn nicht Wirtschaft, sondern "Kultur und allgemeine menschliche Werte. Das ist - im besten Sinne des Wortes - ein Exklusivclub, wo sich alle Mitglieder benehmen müssen; das heißt nicht Gefängnis, sondern Freiheit in gewissem Rahmen."

Mittagsjournal, 24.01.2011

Hetze in ungarischer Zeitung

Was Schiff höflich und vorsichtig formuliert, nennen manche Ungarn Nestbeschmutzung. Besonders übel hat sich der Publizist Zsolt Bayer hervorgetan, der als enger Freund von Viktor Orban gilt: Bayer hat in einem Zeitungsartikel bedauert, dass die Vorfahren von Andras Schiff nicht auch im Wald von Orgovany verscharrt worden sind. In diesem Wald wurden nach dem Ersten Weltkrieg Hunderte Anhänger der ungarischen Räterepublik getötet, darunter viele Juden.

Andras Schiff vermisst den breiten Protest in Ungarn gegen diesen Hetzartikel und erinnert sich daran, dass es immer Menschen gab, die es sich sogar in Diktaturen eingerichtet haben. Er kenne auch Leute, die sich im Dritten Reich sehr wohl fühlten. "Ich protestiere nicht allein, weil ich jüdischer Abstammung bin, sondern als Mensch. Wäre ich ein Christ, würde ich auch protestieren", so Schiff.

Junge Demokratien

Als Reaktion auf diesen Artikel will Schiff nicht nach Ungarn fahren oder dort auftreten, von seiner Liebe zur ungarischen Kultur will er allerdings nicht lassen: "Ich habe eine sehr tiefe Liebe zu ungarischer Kultur. Ich habe sehr gute, enge Freunde wie Imre Kertész und Peter Esterházy, großartige Schriftsteller."

In manchen neuen Mitgliedsländern der EU müsse sich das demokratische Bewusstsein noch entwickeln, denn die EU sei eine heterogene Gesellschaft. "Da sind wirklich manche Länder, die eine sehr große Tradition an Demokratie haben, und andere, die das eben nicht haben. Ungarn ist ein sehr gutes Beispiel", meint Schiff.

"Es bewegt sich etwas"

Andras Schiff hat gemeinsam mit dem ungarischen Dirigenten Adam Fischer Solidarität der Künstler eingefordert, Daniel Barenboim ist ihnen beigesprungen. Hat es Schiff enttäuscht, dass die Reaktionen nicht zahlreicher und heftiger waren? "Es sollte vehement sein, aber ich bin nicht unzufrieden, weil ich spüre, dass sich jetzt etwas bewegt. Besser ein bisschen später als gar nicht."

Kritik der EU fordert Andras Schiff übrigens nicht nur gegenüber Ungarn ein, auch gegen Berlusconi hätte sich die Gemeinschaft mutiger äußern müssen, so Schiff.

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