Proteste ohne Öffentlichkeit
Opposition - das unbekannte Wesen
Die Mehrheit der russischen Bürger weiß gar nicht, dass es im Land überhaupt noch eine demokratische Opposition gibt. Vor den Parlamentswahlen im Dezember ist das für die Regierung sicher eine beruhigende Nachricht. Der Protest der unerschrockenen Demokraten findet im Verborgenen statt und die Sicherheitskräfte sorgen dafür, dass das auch so bleibt.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 02.01.2011
Regelmäßige Kundgebung
Die Zahl derer, die in Moskau auf die Straße gehen, um ein demokratisches Russland zu fordern, ist nur mehr nach Dutzenden zu zählen. An jedem 31. versammeln sie sich beim Majakowski-Denkmal, um auf die Versammlungsfreiheit, garantiert im Artikel 31 der russischen Verfassung, öffentlich hinzuweisen und ihrem Unmut über die autoritären Verhältnisse Luft zu machen. "Putin, Schifahren, Magadan", rufen die etwa 200 Sympathisanten der demokratischen Opposition. Das heißt, sie schicken Putin in die Wüste, konkret nach Sibirien, in den GuLag.
Mehr Polizisten als Demonstranten
Die Liste der Redner, die sich zur Gruppe "Strategie 31" zusammengeschlossen haben, liest sich wie ein "Who is who" der aufrechten Demokraten. Von der über achtzigjährigen Ludmilla Alexejewa bis zum früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten Boris Nemtzow. Prominente Mitstreiter wie etwa Garry Kasparow sind abhanden gekommen, dafür wird die Gruppe durch das polemische Talent von Ilja Jaschin verstärkt, den früheren Leiter der Jugendorganisation der demokratischen Kleinpartei Jabloko. Da die Zahl der Sicherheitskräfte um ein Vielfaches höher ist, als die Zahl der Kundgebungsteilnehmer, stellt Jaschin die polemische Frage, ob die Bedrohungslage von der Regierung immer richtig eingeschätzt wird: "Und wo waren eigentlich die Sicherheitskräfte, als eine Bombe in Domodedowo explodierte?"
63 Prozent kennen Opposition nicht
Das eigentliche Problem dieser demokratischen Hoffnungsträger aber hat das Meinungsforschungsinstitut Lewada in einer jüngst veröffentlichten Umfrage ans Licht gebracht. Immerhin haben noch elf Prozent der Befragten eine grundsätzlich positive Einstellung zu demokratischen Reformen und ihren wichtigsten Proponenten, allerdings: 63 Prozent der Bevölkerung wussten nicht, dass es diese demokratische Opposition überhaupt noch gibt. Das heißt, Menschenrechtsorganisationen wie die "Moskauer Helsinki-Gruppe", Memorial oder die Gruppe Solidarnost arbeiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Andrerseits ein großer Erfolg für die Informationspolitik von Putin und Medwedew, denen es gelungen ist, das herrschende autoritäre System als alternativlos darzustellen.
Forderungen verpuffen
Selbst die kurzzeitige Verhaftung von Boris Nemtzow, Ilja Jaschin und Eduard Limonow hat – im Ausland – für Aufmerksamkeit gesorgt, in Russland wurde sie kaum bemerkt, schon allein deshalb, weil das unter völliger staatlicher Kontrolle stehende Leitmedium Fernsehen diese Verhaftungen ignoriert hat. Die Demonstranten konnten gestern fordern: "Russland ohne Putin!" Für das Machttandem – Putin, Medwedew – ist das völlig gleichgültig. Für die Parlamentswahlen Ende dieses Jahres spielt der Protest keinerlei Rolle. Die demokratische Opposition hat derzeit nicht die geringste Chance.