Arbeitkämpfe nach Großdemos

Rückkehr zum "normalen" Chaos

Die Massenproteste sind zu Ende, statt dessen haben jetzt Demonstrationen für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Entlohnung begonnen. Insgesamt beginnt das Land mit der Rückkehr zur Normalität. Aber viele Fragen sind weiterhin offen.

Mittagsjournal, 14.02.2011

Versprechungen des Militärrates

Die vom Militär gestützte Übergangsregierung will vor allem die Sicherheit in Ägypten wieder herstellen. Der Tahrir-Platz in Kairo, den die meisten Protestteilnehmer bereits verlassen haben, soll komplett geräumt werden. Er war in den vergangenen zweieinhalb Wochen zum Symbol der Widerstandes gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak geworden. Vertreter der ägyptischen Jugend-Bewegung bezeichneten ein Treffen mit dem Militärrat als ermunternd. Offenbar wurde versprochen, gegen die Korruption vorzugehen. Nachdem die Verfassung außer Kraft gesetzt worden war, die es schwer gemacht hatte, Parteien zu bilden, wurde die Jugendbewegung in Hinblick auf die Wahlen in einem halben Jahr explizit aufgefordert, neue Parteien zu gründen. Mit den Parteiführern will der Militärrat regelmäßige Treffen abhalten.

"Leute auf Straße gezwungen"

An den bisherigen Gesprächen war auch der Google-Marketing-Chef für den Nahen Osten und Afrika, Wael Ghonim beteiligt. Er beschreibt die Ereignisse im Rückblick in einem Interview für den amerikanischen TV-Sender CBS so: "Vor der Revolution war die Situation kritisch. Ohne Facebook, Twitter, Google oder YouTube wäre das alles nicht passiert. Einer der strategischen Fehler des Regimes war es, Facebook zu blockieren. Damit haben sie Millionen Menschen gezeigt, dass sie sich vor der Revolution fürchten. Sie haben die Leute auf die Straße gezwungen. Wer sich informieren wollte, musste hinaus, weil man im Internet nichts mehr erfahren hat."

"Militär zeigt guten Willen"

Dem Militärrat scheint es langsam zu gelingen, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Die Angst, dass die Versprechen nicht eingehalten werden, ist offenbar der Euphorie über die Aussicht auf neue Freiheit gewichen. Eine Aktivistin der Protestbewegung: "Es ist eine großartige Ankündigung, auf die wir lange gewartet haben. Das Militär zeigt guten Willen. Natürlich waren wir skeptisch, weil auch Leute vom alten Regime dabei sind, aber bisher sind sie wirklich auf unserer Seite."

Arbeitskämpfe flammen auf

Im Windschatten der Revolution könnten sich aber die sozialen und wirtschaftlichen Spannungen in Ägypten entladen. So sind heute die Banken geschlossen, weil die Angestellten wegen großer Entlohnungsdifferenzen die Bank-Manager abgesetzt sehen wollen. Bisher ist unklar, wie der Militärrat und die Übergangsregierung auf solche Entwicklungen reagieren. Es gibt Spekulationen, dass Gewerkschaftssitzungen und -proteste verhindert werden könnten. Morgen Dienstag wird es einen landesweiten Feiertag geben, der mögliche weitere Proteste beruhigen soll.

International wird inzwischen nach dem Vermögen des zurückgetretenen Präsident Mubarak und seiner Familie gesucht. Angeblich sind Milliardenbeträge in der Schweiz, Großbritannien und den USA geparkt.

Abendjournal, 14.02.2011

Allmähliche Rückkehr zur Normalität,

"So rasch wird es nicht gehen"

Noch ist es zu früh, um sich zurückzulehnen in Ägypten. Der Weg zur Demokratie ist noch überhaupt nicht geklärt. So ist noch unklar, wer die Verfassung umschreiben wird. Auch kann das Militär mit der Begründung einer unzureichenden Sicherheitslage alles verschieben. Überhaupt muss das Land nach drei Wochen Stillstand wieder in Schwung gebracht werden. Ganz zu schweigen von den tieferen sozialen und wirtschaftlichen Problemen Ägyptens. Die Euphorie nach der Evolution kommt vom Gefühl, dass jetzt alles gut wird. Aber so rasch wird das nicht gehen.

Gratwanderung für die Militärführung

Zu den dringendsten Forderungen der Opposition gehören die Freilassung politischer Gefangener, die während der Proteste festgenommen wurden. Andererseits sind angeblich die Köpfe des sogenannten Kerns in der Nacht festgenommen worden, aber das sind nur Gerüchte unter vielen. Sollte das Misstrauen wieder größer werden, sind sofort wieder Tausende Menschen auf dem Tahrir-Platz - eine Gratwanderung für die Militärführung. Auch was mit Mubarak und seinem Vermögen passiert, ist noch völlig offen. Über sein Schicksal gibt es nur Gerüchte.

Baraba Ladinser aus Kairo

im Mittagsjournal-Gespräch am 14.02.2011 mit Wolfgang Wittmann