Warum soll Erben nicht allen zu Gute kommen?
100 Prozent Erbschaftsteuer?
Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer mehr, und das meiste Vermögen wird nicht erarbeitet, sondern geerbt. Ausgerechnet Superreiche und Linke fordern deshalb unisono, dass nur noch einer erben soll: der Staat. Ist das gerechter?
8. April 2017, 21:58
Schon John Stuart Mill (1806-1873), der Urvater des politischen und ökonomischen Liberalismus, fand, Erbschaften sollten an den Staat, also die Allgemeinheit, fallen. Dabei geht der Liberalismus davon aus, dass die Freiheit des Einzelnen - und dazu gehört vor allem auch das private Eigentum - das höchste zu schützende Gut sei, und der Staat eigentlich vor allem dies zu schützen habe. Und heute sind es vor allem einige der Superreichen in den Vereinigten Staaten, die sagen, dass sie ihr Vermögen nicht für ihre Kinder erwirtschaftet haben. "Sollen die etwa privilegiert sein, nur weil sie dem Klub der glücklichen Spermien angehören?", soll zum Beispiel Warren Buffett, einer der reichsten Männer der Welt, gesagt haben. Statt ihren Kindern lassen sie ihr Erbe lieber über Stiftungen einem guten Zweck zu Gute kommen.
Verdientes und unverdientes Vermögen
Doch wie geht das zusammen, dass ausgerechnet liberale Ökonomen, denen das Privateigentum sonst über alles geht, die Steuern und staatlichen Eingriff in das freie Spiel der Kräfte oft für das Böse schlechthin halten, Erbschaften komplett enteignen möchten? Für John Stuart Mill erklärt sich das aus der Zeit, in der seine Theorien entstanden sind, meint Prof. Herbert Walther vom Institut für Arbeitsmarkttheorie und -politik der WU Wien:
"Vor dem Hintergrund der damaligen Feudalgesellschaft, in der das aufstrebende Bürgertum die Leistung und die Arbeit erbracht hat, von der andere gelebt haben, war das natürlich eine Attacke auf die vererbten Privilegien dieser Schicht."
Die New Liberals Ende des 19. Jahrhunderts gingen da noch einen Schritt weiter: für sie gab es verdientes und unverdientes Vermögen. Verdientes Vermögen ist alles, was man sich selbst erarbeitet, und das sollte möglichst wenig oder gar nicht besteuert werden. Unverdientes Vermögen aber, für das man selbst keinen Finger gerührt hat, sollte der Staat abschöpfen: zum Beispiel Wertsteigerungen von Grundbesitz oder eben Erbschaften.
Das hängt mit den puritanischen Tugenden in der amerikanischen Gesellschaft zusammen, sagt Herber Walther: "In den angelsächsischen Ländern gab es vielfach - vor allem in den USA, weniger in Großbritannien - eine aufstiegsorientierte, leistungsorientierte Einwandererschicht, die großen Wert auf die puritanischen Tugenden von Arbeit und Sparsamkeit gelegt hat, und in der auch Glücksspiele zum Beispiel zutiefst verpönt waren. Daher gab es ja zunächst einmal ein strenges Verbot von solchen Aktivitäten. Die Amerikaner haben noch immer diesbezüglich ein etwas gespaltenes Verhältnis zu gewissen Formen des Reichtums."
In Zeiten des New Deal in den 1930er Jahren gab es in den USA immerhin Erbschaftsteuern von bis zu 75 Prozent - für Vermögen über fünf Millionen Dollar. Überhaupt sind die Vermögensteuern in Nordamerika sogar nach der konservativen Wende unter Reagan und Bush immer noch deutlich höher als in den meisten Ländern Europas - während Arbeit deutlich geringer besteuert wird. Von 100 Prozent Erbschaftsteuer sind aber auch die USA heute weit entfernt.
Herbert Walther über Reiche, die Steuern wollen
Gute Gründe dagegen
Denn gegen die Idee einer totalen Enteignung von Erbschaften sprechen auch gute Gründe, sagt Margit Schratzenstaller vom Wirtschafts-Forschungsinstitut: "Es gibt ja auch vonseiten der Erblasser bestimmte Kalküle, weshalb sie Vermögen vererben möchten. Nicht zuletzt zum Beispiel, das wissen wir auch aus empirischen Studien, um sich gewisse Leistungen der künftigen Erben zu sichern, also Pflegeleistungen zum Beispiel. Diesen Anreiz könnte man nicht mehr einsetzen, wenn man Erbschaften völlig wegbesteuern würde. Und zum Anderen glaube ich schon, dass eine prohibitive Vermögensbesteuerung dazu führen würde, dass die Leute nicht mehr sparen würden und kein oder sehr wenig Vermögen aufbauen würden, und das kann aus einer wachstumspolitischen Perspektive auch nicht wünschenswert sein."
Außerdem gehen die radikal-liberalen Theoretiker ja auch von einer Chancengleichheit aller Menschen aus - und davon kann schon beim Blick auf die Einkommensschere zwischen Mann und Frau keine Rede sein.
Freibetrag: eine Million Euro?
Wie dieses Dilemma zu lösen sei - dazu kommt ausgerechnet vom anderen Ende des wirtschaftspolitischen Spektrums ein Vorschlag: Sahra Wagenknecht, Abgeordnete der deutschen Partei "Die Linke", will Erbschaften zwar auch komplett einkassieren, allerdings soll diese Steuer ausschließlich Millionäre treffen, denn sie soll erst über einem Freibetrag von einer Million Euro pro Erben schlagend werden. So möchte sie große Vermögen umverteilen, denn die seien ein ökonomisches und politisches Problem: Dass ein paar Prozent der Bevölkerung immer reicher werden, die Masse aber immer weniger Kaufkraft zur Verfügung hat, lähmt den Wirtschaftskreislauf, und auch politisch haben es sehr Reiche leichter, ihren Interessen Gehör zu verschaffen, sei es über ein Medienimperium, sei es über direkte Einflussnahme auf die Politik. Umso mehr gilt das natürlich für Erbdynastien, die ihr Vermögen über mehrere Generationen anhäufen und nutzen.
Für Sahra Wagenknecht ist ein Freibetrag von einer Million Euro genug, um für den normalen Erblasser Vermögensanreize zu setzen, genug, um die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung von einer Erbschaftsteuer ganz zu befreien, und ein hundertprozentiger Steuersatz für alles darüber wäre wohl trotzdem ertragreich genug, um die Löhne steuerlich deutlich entlasten zu können. Ein probates Mittel also?
"Aus meiner Sicht sind solche Vorschläge völlig weltfremd", meint Herbert Walther dazu. Denn Kapital sei ein scheues Reh, das schneller in der Schweiz oder im "Raubrittertum" Liechtenstein sei als der Staat zugreifen könne. Zwar seien Erbschaftssteuern schwierig zu umgehen, ergänzt Margit Schratzenstaller vom WiFo, "weil sowohl der Erblasser als auch die Begünstigten sowohl ihren Wohnsitz als auch ihr Vermögen ins Ausland verlagern müssten, um der Besteuerung zu entgehen. Das wird wohl eher in geringem Umfang zu erwarten sein." Aber wenn der Staat alles einkassieren will, versucht man es natürlich trotzdem gerne - vor allem, wenn man als Millionär ja auch die Mittel dazu hat.
Wenig Wissen über Erbschaftsteuern
Ein weiteres Problem betrifft die soziale Akzeptanz einer Erbschaftsteuer - denn die ist schon bei niedrigen Sätzen äußerst gering. Umfragen in Deutschland und Österreich zeigen, dass der Großteil der Bevölkerung eine Erbschaftsteuer vehement ablehnt. Und das, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung in beiden Ländern schon bei relativ geringen Freibeträgen davon gar nicht betroffen wäre. In Österreich wie in Deutschland gehören rund zwei Drittel des privaten Vermögens den obersten zehn Prozent der Bevölkerung, und weit mehr als die Hälfte hat überhaupt kein nennenswertes Vermögen zu vererben.
Warum wird dann eine Erbschaftsteuer so emotional abgelehnt? Ein Grund könnte sein, dass Eigentum im deutschsprachigen Raum traditionell als Familieneigentum betrachtet wird, wie es der deutsche Soziologe Jens Beckert ausdrückt, und weniger als Eigentum einer Person: "Das Erbrecht wird als ein Instrument betrachtet, um die sozialen Strukturen der Familie aufrechtzuerhalten, weil die Familie als sittliche Keimzelle sozialer Ordnung gilt. Das findet seinen Ausdruck im Pflichtteilsrecht. Niemand soll sagen können: Ich vermache alles dem Tierschutzverein. Bestimmte Teile des Vermögens müssen innerhalb der Familie vererbt werden. Bis heute gibt es in Deutschland (wie auch in Österreich, Anm.) diese kulturell gewachsene Bezugnahme auf den Schutz der familiären Sphäre auch vor dem staatlichen Eingriff, zum Beispiel durch Freibeträge, für die keine Steuern anfallen. Im deutschen (und österreichischen, Anm.) Erbrecht wird Eigentum also immer ein Stück weit als Familieneigentum betrachtet."
Erbschaftsteuer ist wachstumsfreundlich
Herbert Walther und Margit Schratzenstaller sehen das profaner: Sie glauben, dass die Mehrheit der Bevölkerung schlicht nicht weiß, dass sie von einer Erbschaftsteuer gar nicht betroffen wäre. Schließlich hätten die meisten Modelle einen Freibetrag, der ungefähr beim Gegenwert einer Eigentumswohnung liegt. Und für die Weitergabe von kleinen und mittleren Unternehmen gibt es beispielsweise in Deutschland gesonderte Regeln: Wenn das Kapital zehn Jahre im Unternehmen gelassen wird, fallen gar keine Erbschaftsteuern an. Beide Experten halten es aber für sinnvoll, die Erbschaftsteuer in Österreich wieder einzuführen - zumindest dann, wenn ihr Ertrag dem Großteil der Bevölkerung zu Gute käme:
"Wenn man auf der einen Seite Erbschaften stärker besteuern würde, wofür gute Gründe sprechen, was aber nur einen geringen Teil der Bevölkerung betreffen würde", sagt Schratzenstaller, "dann könnte man auf der anderen Seite Abgaben senken, die sehr breite Teile der Bevölkerung und zwar sehr stark belasten. Ich sage nur als Stichwort: hohe Belastung des Faktors Arbeit - wir haben hier in Österreich eine sehr starke und auch zunehmende Abgabenbelastung der Arbeit, und die setzt schon bei sehr geringen Einkommen ein."
Eine spürbare Entlastung könne man auch schon mit geringen Steuersätzen erreichen: Herbert Walther und Margit Schratzenstaller sind sich einig, dass ein Erbschaftsteuersatz in Österreich bei maximal fünf Prozent liegen sollte, und ganz sicher nicht bei hundert.