Technik für den Durchblick

Digitale Blindenhunde

Bis in die achtziger Jahre gab es in fast jeder großen Firma blinde Telefonist/innen, die Hunderte Nummern im Kopf hatten und den ganzen Tag Gespräche annahmen und weiterleiteten. Der Anbruch des digitalen Zeitalters kostete etliche ihren Job.

Der moderne Arbeitsplatz mit Maus und Monitor stellte ein scheinbar unüberwindbares Hindernis dar. Heute sind Computer für Blinde nicht nur zugänglich, sondern aus dem Alltag der meisten Sehbehinderten nicht mehr wegzudenken. Braillezeilen, mit GPS aufgerüstete Blindenstöcke oder Programme, die den Bildschirminhalt vorlesen, sind nur einige der Technologien, die es Blinden heute ermöglichen, einen anspruchsvollen Beruf auszuüben.

Digitale Hilfsmittel

Mittwoch Vormittag im Büro der TSB, der Transdanubia in Floridsdorf. Die Firma vertreibt Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen in Österreich. Und zwar keine sprechenden Küchenwaagen oder Thermometer sondern hauptsächlich elektronische Hilfsmittel. Vom Lesegerät, das Texte bis zu fünfzigfach vergrößert bis hin zu Brailledruckern, die taktile Grafik oder Brailleschrift ausdrucken können.

Zehn Mitarbeiter gehören zum Team. Rund die Hälfte davon ist blind oder sehbehindert. Einer davon ist der neunundzwanzigjährige Martin Mayerhofer, der bei TSB unter anderem Geräte und Software testet und entscheidet, was in den Vertrieb kommt.

Martin Mayerhofer ist seit Geburt blind. Früher hat er noch ein bisschen gesehen, etwa Grundfarben erkannt. Mittlerweile könnte man ihm mit der Taschenlampe direkt in die Augen leuchten, wie er sagt, ohne dass er die Lichtquelle wahrnehmen würde.

Informationen in den Fingern

Auf seinem Schreibtisch schaut es auf den ersten Blick aus wie auf einem ganz normalen Schreitisch. Computer, Fest- und Mobiltelefon, Scanner, Ladegeräte, Kabelsalat. Auffällig ist allerdings, dass sich nirgendwo Notizzettel oder andere Papiere stapeln und, dass der Monitor schwarz ist.

Den Bildschirm braucht der EDV Spezialist nicht, da er sich auf andere Ausgabehilfsmittel verlassen kann. Zur Standardausrüstung eines Blindenarbeitsplatzes gehört zum Beispiel eine sogenannte Braillezeile. Der Text, der normalerweise auf dem Monitor steht, wird auf winzige Stifte übertragen, die wie die Punktschrift auf dem Papier aus der Plastikoberfläche der Braillezeile herausragen und mit den Fingerkuppen ertastbar sind.

Anders als auf dem Papier sind die Braillepunkte beweglich. Neben der Braillezeile ist ein sogenannter Screenreader für einen Blinden unverzichtbar. Dabei handelt es sich um eine Software, die grafische Informationen des Betriebssystems interpretiert und in Sprache und Braille umwandelt. Eine Maus benutzt Martin Mayerhofer übrigens nicht. Er navigiert sich mit dem Nummernblock auf der Tastatur über die Seite.

Schneller lesen als ein Sehender

Die ersten Screenreader, die vor zwanzig Jahren auf den Markt kamen, sorgten lediglich dafür, dass der gesamte Bildschirmtext stur vorgelesen oder über die Braillezeile ausgegeben wurde. Für komplexe Bedienoberflächen und Internetportale reicht der Modus der unstrukturierten Textwiedergabe nicht aus.

Heute sind mehr als ein Dutzend verschiedene Screenreader auf dem Markt. Auf Eingabefelder oder Fenster weist der Screenreader akustisch hin. Außerdem gibt es die Option von Überschrift zu Überschrift oder von Link zu Link zu springen.

Martin Mayerhofer kombiniert Braille und Sprachausgabe. Wenn er im Netz Zeitung liest oder in Wikipedia nachschlägt, kann er dank Sprachausgabe die Inhalte schneller erfassen als ein Sehender. Geht es aber um komplexere Inhalte, etwa um Zahlen in einer Datenbank, will er die Infos lieber ertasten.

Situation am Arbeitsmarkt

Laut dem Wirtschaftsmagazin "brand eins" ist in Deutschland nur jeder Dritte Blinde im erwerbsfähigen Alter berufstätig. Die Situation in Österreich ist ähnlich. Und das liegt nicht an den Blinden, sondern an der Einstellung vieler Arbeitgeber. Etliche Unternehmen zahlen lieber eine Ausgleichstaxe, als der gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen und fünf Prozent ihrer Stellen mit Schwerstbehinderten zu besetzen.

Dank immer mehr assistierender Computertechnologien sollten die Zeiten eigentlich vorbei sein, in denen blinde Menschen bei der Berufswahl nur zwischen Masseur oder Telefonist entscheiden können.

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