Ausstellung in Winterthur

"Foto-Dichter" Andre Kertesz

Er war einer der wichtigsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, der gebürtige Ungar Andre Kertesz. Der Avantgardist und Mitbegründer der Fotoreportage wird wegen seiner melancholischen Bildersprache oft als "Dichter" unter den Fotografen bezeichnet. Im Fotomuseum Winterthur in der Schweiz wird die bisher größte Retrospektive des Fotokünstlers gezeigt.

Kulturjournal, 01.03.2011

Es sind flüchtige Augenblicke des Alltags, die Andre Kertesz in seinen Fotografien festhielt. Straßenszenen, aufgehängte Wäsche, einen Schwimmer unter Wasser. Scheinbar Banales verwandelte der Künstler in Poesie. Kertesz wollte nie dokumentieren, sondern mit seinen Fotografien seine Emotionen ausdrücken. Ich fotografiere nicht, was ich sehe, sondern was ich fühle, meinte er stets.

Was die Grundlage seiner einzigartigen Bildsprache war, sagt Kuratorin Annie-Laure Wanaverbecq: "Kertesz fotografierte nur, was ihm nahestand, seine Familie und Freunde, seine Umgebung. Er bildete nie irgendwelche Ereignisse ab. Nicht einmal während des Krieges fotografierte er militärische Motive. Er hielt nur fest, was seine momentanen Gefühle widerspiegelte. Diese persönliche Bildersprache behielt er sein ganzes Leben lang bei."

Als Avantgardist in Paris

Andre Kertesz wurde 1894 in Budapest geboren und machte schon früh als Fotokünstler auf sich aufmerksam, hielt Motive fest, die damals völlig unüblich waren, wie einen Schwimmer unter Wasser oder zwei Personen, die nur von hinten zu sehen sind, weil sie durch ein Guckloch Zirkusszenen beobachten. Später emigrierte Kertesz nach Paris, wo er sich als Avantgardist einen Namen machte. Dort entstanden seine berühmten "Verzerrungen", Aktbilder, auf denen mit Vexierspiegeln grotesk verformte Frauenkörper zu sehen sind.

Zudem experimentierte Kertesz auf seinen Fotos mit dem Spiel von Licht und Schatten, das seinen Motiven einen einzigartigen Ausdruck verlieh. Kertesz gilt bis heute als Pionier der Fotokunst im 20. Jahrhundert, so der Direktor des Fotomuseums Winterthur, Urs Stahel.

Keinem Trend gebeugt

Kertesz sorgte später als einer der Mitbegründer der Fotoreportage für Zeitungen und Magazine für Furore. Trotzdem musste der eigenwillige Pionier, der sich keinem Trend beugen wollte, lange darum kämpfen, bis er sich auf dem Markt durchsetzen konnte. Besonders in den USA, wo er die letzten 50 Jahre seines Lebens verbrachte, stieß Kertesz mit seinem poetischen Werk lange auf Unverständnis, erzählt Kurator Michel Frizot:

"Bei der Illustrierten 'Life', die damals ganz neu war, sagte man Kertesz, dass seine Fotos zu viel reden würden. Das heißt, dass sie persönliche Eindrücke von Kertesz zeigten, anstatt einfach zu dokumentieren. Das war unüblich und wurde nicht verstanden."

Die Retrospektive im Fotomuseum Winterthur zeigt erstmals sämtliche Schaffensperioden von Andre Kertesz, der sich gern als ewigen Amateur bezeichnete. Ein virtuoser Amateur, dessen melancholische Bildgedichte bis heute faszinieren.

Service

Fotomuseum Winterthur - Andre Kertesz