Die belgische Needcompany am Akademietheater

"Kulturclash"

Die Needcompany ist eine der bekanntesten Gruppen aus der innovativen Theater- und Tanzszene Belgiens. Ihr Stil bewegt sich zwischen Sprech- und Bewegungstheater, und zwar mit Video-Elementen und hohem künstlerischen Anspruch bei der Bühnengestaltung. Am Samstag, 5. März 2011, hat ihr neues Stück am Akademietheater Premiere.

Kulturjournal, 04.03.2011

Die Needcompany ist eine der bekanntesten Gruppen aus der innovativen Theater- und Tanzszene Belgiens. Der Needcompany-Stil bewegt sich zwischen Sprech- und Bewegungstheater, und zwar mit Video-Elementen und hohem künstlerischen Anspruch bei der Bühnengestaltung. Der Gründer und Leiter Jan Lauwers ist nämlich auch bildender Künstler.

Bei den Salzburger Festspielen hat die Needcompany schon gastiert, und morgen hat ihr neues Stück am Akademietheater Premiere; es ist eine Kooperation mit dem Burgtheater und ImpulsTanz. In der Hauptrolle: der Burgschauspieler Michael König. Er ist schon die vierte Besetzung der Partie. Martin Wuttke und dann Otto Sander konnten aus unterschiedlichen Gründen doch nicht teilnehmen; Paulus Manker schied wegen Auffassungsunterschieden mit Lauwers aus den Proben aus.

Das Stück nennt sich "Die Kunst der Unterhaltung". Parallel dazu stellt Jan Lauwers in der Wiener Galerie Charim aus - und zwar unter dem Motto "The Entertainer's Private Room".

Jan Lauwers: Theater und bildende Kunst

In der Wiener Ausstellung von Jan Lauwers gibt es einen schlammgrünen Mickey-Maus-Kopf auf einem groß aufgeblasenen Polaroid an der Wand. Und in Lauwers' Stück "Die Kunst der Unterhaltung" trägt ein französischer Meisterkoch den Namen "Mr. Duchamp". Duchamp steht für Kunst, die Mickey Mouse für Unterhaltung. Jan Lauwers erläutert den Gedankengang dahinter:

"Das Urinoir von Duchamp gilt als wichtigstes Kunstwerk des 20. Jahrhunderts. Insofern, als es die Splitterbombe war, die die Kunstwelt veränderte. Im selben Jahrzehnt kreierte Walt Disney eine andere Ikone, die Mickeymaus. Duchamp wollte den Mythos um die Kunst zerstören, Disney wollte einen neuen Mythos schaffen. Das 21. Jahrhundert bringt diese beiden Dinge zusammen: Das Entertainment, symbolisiert durch die Mickeymaus, und den Denkprozess hinter Duchamps Urinoir." Theater, und Kunst überhaupt, müsse wieder große Fragen stellen, darauf besteht Jan Lauwers.

Die "europäische Dekadenz"

Er setzt bildschöne Statements ab, aber es ist ihm ernst damit, es erschöpft sich bei ihm nicht in Geistreichelei. Was seine eloquent formulierte Aussagen versprechen, das löst sein neues Stück zumindest in den Grundzügen ein.

Die Zentralfigur der "Kunst der Unterhaltung" ist ein alternder Schauspieler, der mit beginnender Demenz kämpft. Er kann sich Texte nicht mehr richtig merken. Der Bühnenstar, der das Gedächtnis verliert, will sich umbringen, und zwar in einer weltweit ausgestrahlten Fernseh-Selbstmordshow, die traumhafte Quoten hat. Ein Starkoch bereitet das letzte Mahl für den gefeierten Schauspieler Saul J. Waner, alias Michael König.

Die Selbstmord-Spritzen, die der Star auch selbst auslösen muss, stehen schon bereit. Es entwickelt sich eine Situation zwischen absurdem Traum, Klamauk und artifiziell gebrochenem Reality-Fernsehen voller Rohrkrepierer. Der Darsteller und seine Geliebte spielen einen Rückblick auf sein Leben als Stück mit selbst verfasstem Text. Er bringt sich dann auch nicht wirklich um, sondern tut nur so. Bis zum Schluss weiß man nicht, ob sich jetzt endlich der Mensch hinter dem Schauspieler outet oder doch alles nur Illusion ist.

Es ist ein Stück über das Theater, aber auch über die sogenannte europäische Dekadenz; über eine Gesellschaft, die die entscheidenden Fragen aus den Augen verliert angesichts des Theaters, das sie sich selbst vorspielt.

Jan Lauwers reist viel mit der Needcompany. Er hat den Eindruck, dass die nach vorn gerichtete Energie, die Lust nach Leben in Lateinamerika oder Asien hundertmal größer ist als in Europa.

"In Europa sind wir faul im Geist"

"In Europa sind wir faul - nämlich faul im Geist; es geht mir nicht um mehr Arbeit, sondern um die Frage, was tun wir und warum. Und wir sind arrogant. Wir sollten unsere Situation schnellstens überdenken. Geht es abwärts mit Europa, und was bedeutet das? Wir diskutieren alles Mögliche, nur nicht das wirklich Wichtige im Leben. Dafür mache ich Politiker, Künstler und auch mich selbst verantwortlich. Wir stellen heute die falschen Fragen."

Jan Lauwers schreibt seine Stücke in dem Atelier, wo er auch zeichnet, malt und Installationen entwirft. Bei der Kooperation mit dem Burgtheater war ihm bewusst, dass da zwei konträre Auffassungen von Theater aufeinander prallen würden: "Es ist ein Kulturclash. Die Needcompany will aus dem Theater ein Produktionssystem und nicht ein Reproduktionssystem machen. Das Burgtheater hingegen ist die ultimative Reproduktionsfabrik. Ein Schauspieler muss jeden Abend reproduzieren. Er kann sich nicht zu tief in seine Figur hineinlassen, er muss ja jeden Tag ein anderes Stück spielen. Wir von der Needcompany möchten diese Vorgangsweise zerstören und beim Schauspielen vom Nullniveau ausgehen. Daher haben wir die Burgtheaterschauspieler Michael König und Sylvie Rohrer nach Brüssel eingeladen. Wir haben die beiden völlig dekonstruiert - und ich denke, sie sind glücklich damit."

Kritik am Kunstmarkt

Als bildender Künstler hat Lauwers in großen Institutionen wie im Haus der Kunst ausgestellt. Außer mit Charim in Wien arbeitet er aber nicht mit Galerien zusammen. Er möchte eine gewisse Distanz zum Kunstmarkt wahren.

"Am Theater haben wir es leichter, zum Beispiel über unsere Freiheit zu diskutieren. In der bildenden Kunst übt der kapitalistische Kunstmarkt viel zu viel Kontrolle aus. In der Kunstwelt ernsthafte Fragen zu stellen, wird immer schwieriger. Am Theater gibt es das nicht. Ein Stück kann man nicht kaufen und ins Depot einer großen Sammlung geben. Gilbert und George haben in ihrem letzten Interview gesagt: Der größte Fehler im 20. Jahrhunderts war, dass die Künstler auf das Auge des Betrachters vergessen haben."

Und: Der Kunstmarkt setze oft die falschen Maßstäbe. Eine teure Arbeit müsse nicht gut sein. "Das ist die Tragödie des Marktes". Und noch ein Gedanke zur Tragödie des Marktes, Stichwort: Bankenrettungspaket, geschnürt in Europa.

Banken statt Arme retten

"Sie haben Tausende Millionen in die Banken gesteckt. Mit dieser Menge Geld hätten sie die Armut auf der ganzen Welt beseitigen können. Jeder hätte Trinkwasser und ein Dach über dem Kopf. Und es war möglich, das Geld in nur zwei Wochen aufzutreiben! Für die Banken ja, gegen die Armut nein. Das ist wirklich dekadent. Was sollen wir in 50 Jahren zu unseren Nachfahren sagen? Wir haben S... gebaut!"

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