Was ist ein Super-GAU?

Kromp: "Kernschmelze steht nichts mehr im Wege"

Die japanische Regierung hat am Sonntag erstmals bestätigt, was mehrere Experten bereits am ersten Tag nach dem verheerenden Erdbeben und der Explosion der Hülle eines Reaktors befürchtet hatten: In zumindest einem, vermutlich aber in zwei Reaktoren des AKW Fukushima sei es „vermutlich zu einer Kernschmelze“ gekommen.

Atomkraftwerke in Erdbebengebieten

Experten warnen seit Jahren, dass die Errichtung von Atomkraftwerken in Erdbebengebieten eine ganz gefährliche Kombination sei. Einer von ihnen ist Wolfgang Kromp vom Institut für Risiko-Forschung in Wien. Was passiert wenn ein Reaktorkern schmilzt, und ist die Katastrophe im japanischen Kraftwerk Fukushima dabei, ein Super-GAU zu werden? Das war die Frage, die im Mittelpunkt des Samstag-Mittagsjournals gestanden ist.

Mittagsjournal, 12.03.2011

Dominoeffekt befürchtet

Experte Wolfgang Kromp sagte, dass es so aussehe als ob die äußere Haut des AKW Fukushima 1 beschädigt worden wäre. Es dürfte auch der innere Schutzmantel betroffen sein. Dann stehe einer Kernschmelze faktisch nicht mehr im Wege, warnt Kromp eindringlich. Verschärft werde die Situation dadurch, dass es zu einem Dominoeffekt kommen könnte. Neben dem betroffenen Reaktor stehen noch weitere Reaktoren, die mit Problemen kämpften die Kühlung der Reaktoren sicherzustellen.

Kernschmelze wird kommen

Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Kernschmelze in dem beschädigten Reaktor eintreten werde und zwar in den nächsten Stunden. Die Menschen in der Umgebung seien evakuiert worden. Diese Einschätzung ist nun von der japanischen Regierung bestätigt worden.

Radioaktivität: Wind entscheidend

Tschernobyl sei ein Super-GAU gewesen, aber ein völlig anderer Fall. Allerdings seien die Folgen ähnlich gewesen. Jetzt stelle sich die Frage, in welche Richtung der Wind ausgetretene Radioaktivität tragen werde. Im besten Fall könnte der Wind hinaus Richtung Meer blasen, im schlechtesten Fall nach Süden Richtung Tokio.

Mittagsjournal, 12.03.2011

Zahlen, Daten, Fakten: Was ist ein Super-GAU?

Was ist ein Super-GAU?

Bei einer Kernschmelze erhitzen sich die Brennstäbe, in denen sich das spaltbare Material befindet, so stark, dass sie ihre feste Form verlieren. Der Kern wird so heiß, dass sich die Schmelzmasse durch die Stahlwände des Reaktorbehälters frisst. Damit wird eine große Menge Radioaktivität in dem Schutzgebäude rundherum freigesetzt.

Fukushima moderner Reaktor

Die Reaktoren in Fukushima sind im Unterschied etwa zu Tschernobyl Siedewasserreaktoren, deren Kern durch Dampf gekühlt wird. Seit dem Einsturz des Daches war die Gefahr eines Super-GAU jedenfalls vorhanden. Im Unterschied zum Größten anzunehmenden Unfall, dem GAU, beschreibt der Super-GAU eine unkontrollierbare Situation, die auch nicht mehr mit Sicherheitssystemen beherrschbar ist, und bei der Radioaktivität in die Umwelt austritt. Fukushima ist allerdings kein "Steinzeitreaktor" vom Typ Tschernobyl: Dort gab es eine nukleare Explosion, in Fukushima eine chemische. In beiden Fällen wird aber Radioaktivität freigesetzt.

Ohne Strom keine Kühlung

Was ist nun genau passiert? Die Turbinen und Reaktoren an drei der sechs Blöcke des Fukushima I-Atomkraftwerks schalteten durch das Erdbeben am Freitag automatisch ab. Nach dem Stromausfall sprangen Dieselgeneratoren an, die die Siedewasserreaktoren mit Strom versorgten. Auch diese fielen nach etwa einer Stunde aus, wahrscheinlich durch den Tsunami, der in der Umgebung schwere Überschwemmungen verursachte.

Strom ist aber nötig, um Motoren, Ventile und andere Instrumente zu betreiben, die den Reaktorkern mit Kühlwasser versorgen.

Zumindest Batterien nötig

Das Kraftwerk Fukushima I hätte eine Weile auch ohne Stromzufuhr arbeiten können, weil der Reaktorkern durch Dampf gekühlt wird, der nicht mit Strom generiert wird. Allerdings sind dafür zumindest Batterien nötig, um die Ventile zu steuern. Wenn die Batterien leerlaufen, liefert das System kein Kühlwasser mehr an den Reaktorkern.

Kühlwasser entscheidend

Wenn das Kühlwasser absinkt, überhitzt der Reaktorkern und die Brennstäbe werden beschädigt, und das kann zur Schmelze führen. Wenn das Kühlwasserniveau so weit fällt, dass die Spitzen der Brennstäbe freiliegen, beginnt der Schaden am Reaktorkern.

Im Endstadium frisst sich der geschmolzene Kern durch die Wände des Reaktors, so dass radioaktive Stoffe nach außen gelangen - wie bei dem bisher größten bekanntgewordenen Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl 1986. Mit einer Kernschmelze kommen dann auch Dampf- und Wasserstoffexplosionen.

In Europa angeblich nicht möglich

Nicht passieren könnte das laut Experten bei der neuen Generation an Kernkraftwerken, wie sie zum Beispiel in Finnland gebaut werden, den sogenannten Europäischer Druckwasserreaktoren.Dort kann der Kern schmelzen, wird im Containment festgehalten und durch normale Konvektion gekühlt. Dort werden keine Pumpen für die Kühlung benötigt.

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