Der richtige Mann zur richtigen Zeit
Sven Regener über John Cale
"Wenn es sich um eine richtige Begegnung handelt, wo man wirklich, also im engeren Sinne, mit jemandem etwas zu tun hat, dann ist es gut, wenn man innerlich darauf vorbereitet ist". (Sven Regener)
8. April 2017, 21:58
Sven Regener, Autor und Musiker
"Cale hat uns gezeigt, was in der Kunst wichtig ist."
Nicht jedermanns Freund
Es soll ja Menschen geben, die in jeder Situation mit jeder beliebigen Person über jedes nur erdenkliche Thema plaudern können, und die etwa auf Partys imstande sind, ihrem wildfremden Gegenüber völlig zwanglos zu begegnen. Sven Regener, Schriftsteller, Sänger und Songschreiber der Berliner Band Element of Crime, gehört nicht zu jenen voreilig kontaktfreudigen Zeitgenossen.
"Ich signiere zum Beispiel nach Lesungen keine Bücher, weil ich mit den fremden Leuten nicht klarkomme; weder kann ich sie einfach ignorieren, noch einfach etwas ins Buch hinein pinseln, noch weiß ich mit dem, was sie sagen, umzugehen, weil ich sie nicht kenne. Das heißt: am besten ist man entweder vorbereitet, oder man kennt die Leute."
Smalltalk unerwünscht
Soeben ist Sven Regeners Buch "Meine Jahre mit Hamburg Heiner" erschienen; die nicht stattfindenden Signierstunden wird die große Fangemeinde, so ist jedenfalls zu hoffen, hinnehmen. Immerhin: für "Leporello" machte sich der 1961 in Bremen geborene Regener Gedanken über anhaltende Eindrücke und sinnentleertes Schwatzen und erläutert, was er unter einer bleibenden Begegnung versteht, beziehungsweise nicht versteht:
"Vielleicht liegt es daran, wie man aufwächst und kulturell geprägt ist, aber mehr als eine halbe Minute Smalltalk kann ich nicht aushalten. Das fällt mir ganz schwer. Es sei denn, ich breche einen Streit vom Zaun, denn dann hab ich wenigstens ein Thema und keinen Smalltalk."
John Cale als Produzent
Schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert verfasst und interpretiert Sven Regener mit Element of Crime seine anrührenden Lieder. Dass die Band mittlerweile längst Kultstatus genießt, hängt entscheidend mit einer Begegnung zusammen, die in den 1980er Jahren stattfand.
"Nach langem Überlegen entschieden wir uns, einen Produzenten zu suchen - und es war John Cale, der zuvor schon Frühwerke von Patti Smith und Platten von Nico produziert hatte, auf den unsere Wahl fiel. Cale hat uns gezeigt, was in der Kunst wichtig ist."
John Cale ließ die jungen Anfänger von Element of Crime in seinem Londoner Studio antreten. Die Botschaft des legendären britischen Musikers und "Velvet Underground"-Mitbegründers, war kurz und bündig: "Ich will nicht, dass ihr hier groß rumdiskutiert, was ihr mit einem Lied vorhabt. Haltet die Klappe, liefert keine Beipackzettel, sondern stellt euch hin und spielt so, wie ihr das wollt."
Die Begegnung mit John Cale beruhte nicht etwa auf langen persönlichen Gesprächen - eigentlich kam es zu gar keiner herkömmlichen Annäherung, erinnert sich Sven Regener: "Im Vorraum seines Studios lief ständig die Weltmeisterschaft in Cricket, irgendwo in Australien, zwischen Westindies und Pakistan oder so - und er lief immer wieder raus, um zu sehen, wie das Spiel steht. Außerdem war er gerade auf Drogenentzug, las meistens die Zeitung und sagte dazwischen nur ab und zu: Spielt das nochmal! Aber für uns war das wichtig, weil das die Band auf sich selbst zurückgeworfen hat!"
Eine Begegnung, die etwas bewirkt hat
Was die Reflexion seiner eigenen Lieder betrifft, so neigt Sven Regener übrigens ebenfalls nicht zur Romantik: Die Songs entstehen mehr oder weniger zufällig, und jeder kann sie beliebig interpretieren. Noch vor dem Text entsteht überdies die Musik. Die Worte folgen dann der bereits vorhandenen Melodie.
Die Begegnung mit John Cale, dem Ur-Mentor von Element of Crime, ist für Sven Regener bleibend, wiewohl sie nur sieben Tage andauerte. Mehr brauchte sie nicht, um fortzuwirken:
"Ich habe den Mann nie wieder gesehen. David Young, unser Bassist, hat ihn mal von mir grüßen lassen, da hat er angeblich zurückgegrüßt, aber selbst da weiß ich nicht, ob das stimmt. Ist aber nicht wichtig. Die Begegnung hat etwas bewirkt, egal, ob das nun seine Absicht war oder nicht. Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit, weil wir etwas gelernt haben für unser ganzes Leben."