Eine Weltgeschichte von Joachim Radkau
Die Ära der Ökologie
Ein wenig trifft auf "Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte" des Bielefelder Historikers Joachim Radkau zu, was Robert Musil seinerzeit über den "Zauberberg" von Thomas Mann sagte: Es ist ein Haifischmagen, in den alles hineinpasst.
8. April 2017, 21:58
Am Anfang der 800-seitigen Studie erfolgt ein Geständnis, wie es sich für einen Alt-68er fast gehört:
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Als Anfang der 1970er Jahre die ersten "Umwelt"-Initiativen allenthalben wie Pilze aus dem Boden schossen, empfand ich schon bald: "Das ist meine Bewegung!" Während der 68er-Studentenrevolte in den Jahren davor hatte ich dieses Gefühl nicht gehabt: Zwar machten mir die karnevalesken Seiten dieser Bewegung Spaß (...), aber der Revoluzzerjargon jener Zeit erschien mir unecht und anachronistisch.
Die Bürgerbewegung für den Umweltschutz habe auf Radkau vor allem deshalb authentisch gewirkt, weil sie die Herausforderungen der Gegenwart ernst nahm. Akademisch gesprochen: es ging um Verantwortungs- statt um bloße Gesinnungsethik.
"Vorsorge der Natur"
Man darf ergänzen: Wer damals für die Umwelt kämpfte, schreibt heute eine verantwortungsvolle Umweltgeschichte. Und zwar mit gutem Grund - den Grünen wurde schließlich immer wieder ihre eigene "Geschichtslosigkeit" vorgeworfen. Womit der Historiker auch auf seinem Terrain ist: In einem Parforce-Ritt von Rousseau bis zur Romantik findet sich bei Immanuel Kant ein merkwürdig aktuell klingender Ausdruck:
"Am meisten erregt die Vorsorge der Natur durch das Treibholz Bewunderung, was sie diesen gewächslosen Gegenden zubringt, ohne welches Material sie weder ihre Fahrzeuge und Waffen noch ihre Hütten zum Aufenthalt zurichten können."
Offenkundige geht es hier um eine Überschwemmung - der zeitgenössische Ausdruck "Vorsorge" aber verweist auf ein dramatisches Problem, das es schon am Ende des 18 Jahrhunderts gab: Holznot. Was der Erfinder eines Holz sparenden Ofens damals notierte, klingt schon fast wie der Club of Rome aus dem Jahre 1972: "Nimmt der Holzmangel in den nächsten 20 Jahren in dem Verhältnisse zu, wie er es in den letzen 20 Jahren getan hat, so Gnade uns dann Gott."
Die Welt um 1900
Bekanntlich schaut der Fortschritt immer größer aus, als er tatsächlich ist. Ohne alle "patriarchalische Naturfaselei" (ein Ausdruck von Marx) erzählt sich Joachim Radkau durch den Streit zwischen Bau- und Nutzholzhandel, Japans Erkenntnis der Erosionsproblematik schon im 17 Jahrhundert; die ihrerseits im 18. Jahrhundert in Skandinavien und Russland Gegenstand gesteigerten Interesse ist.
Schließlich erreichen wir die Belle Epoque der Geschichte des Umweltbewusstseins: die Welt um 1900, mit ihren diversen Jugendbewegungen, Nudisten und Vegetariern, Kaiser Wilhelms Naturschutzgebiet in der Lüneburger Heide und der Gartenstadtbewegung. Radkau weiß bei aller Gelehrtheit am Rand immer auch wunderliche Details ganz leicht aufzubereiten.
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Um 1900 gab es eine Welle von Fahrrad-Enthusiasmus wie später selbst in der Öko-Ära nicht mehr, aber in vielen Fällen stand dieser emotional dem Naturgenuss fern, sondern lebte mehr aus dem neuen Kraftgefühl und Geschwindigkeitsrausch. Da präsentierte sich sogar der frühe Automobilismus mitunter gemütlicher.
Selbstredend werden all diese Momente einer grünen Weltgeschichte mit all ihren politischen Implikationen und Aspekten auch interpretiert.
Umweltpioniere
In den 1970er Jahren mochten sich einige Linke über Woody Guthries Lobeshymnen auf die Staudammprojekte am Columbia River und den Grand Colee Dam wundern; tatsächlich handelte es sich dabei um eine Antwort von Roosevelts New Deal auf den epochalen "Dust Bowl", jene Staubstürme, die Amerikas Mittelwesten Mitte der 1930er Jahre erfasst hatten. Der Schutz des erodierten Bodens wurde später nicht nur ein Gegenstand zahlreicher Umweltpioniere - zuvor hatte er große Bedeutung auch für die Nazis: Ein gewisser Alwin Seifert, eigentlich "Lehrbeauftragter für Gartenbau und Friedhofsgestaltung an der TH München" wurde nach 1933 "Reichslandschaftswart" und sprach von "Versteppung". Zu den Umweltschützereien des "Dritten Reiches" befindet der Historiker Radkau trocken, sie stellten eine Geschichte dar, von der es mehr als nur eine Geschichte gebe.
Auch wenn man sich darüber wundern mag, dass gerade Nazi-Wissenschaftler im Jahre 1943 erstmals einen Kausalzusammenhang zwischen Asbest und Lungenkrebs erkannten, was somit eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit darstellte.
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Auch das von radioaktiver Strahlung ausgehende Gesundheitsrisiko wurde in NS-Deutschland argwöhnischer untersucht als in anderen westlichen Ländern. An diesem Punkt war die nationalsozialistische Sorge um das Erbgut produktiv.
Das Prinzip Verantwortung
Die umweltpolitischen Aufbruchsversuche nach dem Zweiten Weltkrieg standen noch ganz im Zeichen von naturwissenschaftlichem Pathos: Geradezu haarsträubend lachhaft zu lesen ist heute, was der Marxist Ernst Bloch in seinem "Prinzip Hoffnung" 1959 nicht nur den Werktätigen für die Zukunft prophezeite: "Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln."
Kritische Zeitgenossen bevorzugen denn auch das zwei Jahrzehnte später entstandene "Prinzip Verantwortung" des Heidegger-Schülers Hans Jonas, allerdings ohne dazuzusagen, dass sich die Geschichte mit zentralem Plan für Vorsorge und Nachhaltigkeit auch nicht ganz einfach gestaltet. Sieht man von Fragen wie Überbevölkerung oder Ressourcenknappheit einmal ab, so bereitet grünen Theoretikern bis in die Gegenwart die Atomkraft im Kalten Krieg besonderes Kopfzerbrechen.
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Solange noch quälende atomare Abschreckungsszenarien durch die Albträume geistern, ging es erstmals um das Überleben in den nächsten Jahren, nicht so sehr um Vorsorge für künftige Generationen.
AKW-Projekte
Bekanntlich kam die friedliche Nutzung des Atoms erst nach der Atombombe, was mit dem Ende der Logik der Abschreckung und jenem der Sowjetunion nur allzu leichtfertig vergessen wird. Radkau räumt Tschernobyl und den sozialen wie politischen Auswirkungen dieses ersten Super-Gaus großen Raum ein. Schließlich folgt noch ein üppiges Panorama an "Umwelthemen": von Willy Brandts Projekt eines AKW mitten im Berliner Wannsee über die diversen Umweltaktivisten und Märtyrer (wie Ken Saro-Wiwa im Kampf gegen Shell) bis zu den jüngsten Protesten gegen chinesische Staudämme.
Manches gerät dabei flapsig wie die Darstellung der Proteste in der Hainburger Au, geradezu wohltuende aufklärerisch ist hingegen die Darstellung der japanischen Anti-Atomkratfwerks-Bewegung, die seit Jahrzehnten nicht leiser ist als jene in Deutschland. Gewiss verbeugt sie sich nicht nur untertänig und trinkt Tee.
Notwendiges Geschichtsbewusstsein
Am Ende von Joachim Radkaus höchst lesenswerter "Ära der Ökologie" verschlägt es einem dann fast die Rede, wenn erklärt wird, warum gerade Geschichte notwendig ist, um zur Einsicht zu gelangen, dass nur im Einklang mit der Natur die menschlichen Beziehungen zur Natur reformierbar sind.
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Aus der Geschichte erkennt man, dass es den historischen Augenblick gibt, wo das Trägheitsmoment bestehender Strukturen durchbrochen wird und manches möglich wird, was bis dahin als unmöglich galt. Das beste "Nutzen der Historie für das Leben" besteht vielleicht darin, den Blick für derartige historische Augenblicke in der eigenen Gegenwart zu schärfen. Wer weiß, vielleicht erleben wir einen solchen Augenblick schon bald.
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Joachim Radkau, "Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte", C. H. Beck
Joachim Radkau
C. H. Beck - Die Ära der Ökologie