William Richey Newton über das Leben am Hofe
Hinter den Fassaden von Versailles
Luxus versus Tristesse, prunkvolles Innenleben versus Kehrseite der funkelnden Medaille. Der Historiker William Ritchey Newton hat nicht nur über Mätressen, Flöhe und Intrigen am Hof Ludwigs XIV. recherchiert, sondern auch darüber, wie es sich pflegte, am Hofe zu speisen, Hygiene- und Badegewohnheiten des Adels und den Umgangston der damaligen Bürokratie.
8. April 2017, 21:58
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Nahm der König seine Mahlzeit allein ein, was meist beim Souper der Fall war, wurde der Service Petit couvert, das kleine Gedeck, genannt. Ludwig XIV. ließ in seinem Schlafgemach einen Tisch herrichten und gewährte ein paar Höflingen und Beamten der Kammer und des Mundschenkenamts Zugang. Allein Monsieur, wie man den ältesten Bruder des Königs, Herzog Phillip von Orleans, nannte, hatte die Erlaubnis, sich beim Petit couvert in Versailles an den Tisch des Königs zu setzen.
"Zu Tisch" auf Königlich
"Meine Damen und Herren, à la viande du roi", auf Deutsch "zum Fleische des Königs" - mit diesen Worten wurde bei öffentlichen Soupers oder Galadiners zu Tisch gebeten. Für Ludwig XIV.. stand "Fleisch" stellvertretend für alle anderen Speisen. Die strenge Etikette, wer wann unter welchen Umständen in welchen Räumlichkeiten am Hofe speisen durfte, beschreibt der Historiker William Ritchey Newton sehr detailliert, nicht jedem war es erlaubt, mit dem König zum Bankett zu schreiten. Für die niedrigen Beamten gab es beispielsweise sogenannte "tables secondaires" also ein Restl-Essen von den Speisen, die der König übrig gelassen hatte.
226 Appartements
In Versailles tummelten sich an die tausend Höflinge, es schickte sich nicht, in der Stadt zu wohnen. Die 226 Appartements im Schloss wurden nach Rang und Namen verteilt, die Übrigen mussten mit kleinen Zimmern oder Abstellkammern Vorlieb nehmen. Die Launen von Ludwig XIV. konnten damals ein Umzugs-Chaos auslösen: Hatte er zum Beispiel eine seiner Mätressen satt, musste diese nicht nur auf die Liebelei mit dem König, sondern auch gleich auf ihr Appartement verzichten. Der König war nicht nur mit seinen Liebschaften, sondern auch im Umgang mit Wasser verschwenderisch.
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Ludwig XIV., dem seiner eigenen Größe entsprechend nichts unmöglich schien, schwebte vor, Wasser aus dem Fluss Eure durch einen Kanal und einen langen, hohen Aquädukt über ein sumpfiges Tal hinweg nach Versailles umzuleiten. Laut Saint-Simon hatte er dieses Projekt ersonnen, um Madame de Maintenon zu gefallen, deren Landgut bewässert werden musste. Andere sahen darin eine List, um eine Truppenkonzentration für einen neuen Krieg zu vertuschen.
Der Wasser-Narr
Den Ausbau von Versailles vom Jagdpavillon zur Hauptresidenz ließ sich Ludwig XIV. 70 Millionen Livres kosten, umgerechnet etwa eine Milliarde Euro, mehr als die Hälfte des Geldes floss in die Wasserversorgung von Schloss und Garten. Der Sonnenkönig war ein Wasser-Narr, auch bei seiner Hygiene. Und obwohl das Trinkwasser knapp war, pflegte Ludwig XIV. ausgiebige Badegewohnheiten in Jacuzzi-ähnlichen, achteckigen, drei Meter tiefen Badewannen aus Marmor. Nicht alle Adeligen waren so reinlich.
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Die aqua simplex, das ordinäre Wasser, kam oft erst nach diversen Toilette-Wässerchen an die Reihe, deren Parfüm die Körpergerüche jedoch kaum zu überdecken vermochte. Liselotte von der Pfalz bedeckte sich mit so stark parfümierten Pudern, dass die Dauphine in Ohnmacht fiel, wenn sie sich nur in ihrer Nähe aufhielt.
Neben Achselschweiß rümpften viele auch wegen unerträglichem Gestank im ganzen Schloss die Nase: Durch Mangel an Toiletten war es üblich, einfach in die Ecke zu pinkeln. Wenn die Latrinen dann endlich ausgeleert wurden, fuhren die Adeligen auf Urlaub, um nicht der Geruchsbelästigung ausgesetzt zu werden. Sonst hatte der Hofstaat wenig Genierer, wenn es um die sogenannten "Armseligkeiten der Mutter Natur" ging.
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Auch die Duchesse de Bourgogne empfing ihre Damen während sie auf dem Stuhl saß - was wenig überrascht bei einer Frau, die bei anderer Gelegenheit nicht zögerte, sich in Anwesenheit des Königs einen Einlauf verabreichen zu lassen.
Auszüge aus Briefen und Bitten
"L'état c'est moi." Der berühmte Ausspruch passt auch zu diesem Buch; man hat das Gefühl, Newton hat den gesamten Etat von Versailles recherchiert. Die Kapitel über Licht und Heizung sind so voll mit Jahreszahlen, Nummern und Geldbeträgen, dass es sich ein bisschen wie eine Monatsabrechnung von Wien Energie liest - so wichtig sind Anzahl und Baujahr von Mansardenfenstern, Fensterläden, Spiegelflächen und Kerzenständern auch nicht, auch wenn sie königlich, verschnörkelt und gülden sind.
Aber nicht nur durch numerische und ungustiöse Anekdoten zeichnet William Ritchey Newton ein sehr akribisches Bild von Versailles, einen amüsanten Einblick liefern auch die schriftlichen Anfragen, Briefe und Bitten der Adeligen: Tonfall und Formulierungen lassen erahnen, wie sich das soziale Leben abgespielt haben muss. Tratsch und Klatschtanten gab es auch zu Zeiten des Sonnenkönigs. Liselotte von der Pfalz zum Beispiel soll in ihrem Leben an die 30.000 Briefe verfasst haben. Selbst der königliche Oberkämmerer wurde dem Gespött der ganzen Stadt preisgegeben.
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Der Duc de Gevres benahm sich in der Öffentlichkeit ganz wie eine Frau, zu Hause traf man ihn entweder mit einem Fächer spielend an oder am Webstuhl mit einer Tapisserie beschäftigt. Er mischte sich gerne in alles ein und hatte den Charakter eines frivolen Frauenzimmers.
Musik war für Ludwig von großer Bedeutung, der Beiname "Sonnenkönig" stammt auch aus einem Ballett, in dem Ludwig als 14-Jähriger die Rolle der aufgehenden Sonne tanzte. Der Sonnenkönig als Musiker, Tänzer und Förderer von Musik und Kunst wurde von Newton beim Blick hinter die Fassade von Versailles leider nicht unter die Lupe genommen. Newton beschreibt nüchtern und schnörkellos – und wirft einen akribischen Blick hinter die Kulissen für Detail-verliebte Freunde von französischer Geschichte und Hofzeremoniell. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Ca, c'est sur.
Service
William Ritchey Newton, "Hinter den Fassaden von Versailles: Mätressen, Flöhe und Intrigen am Hof des Sonnenkönigs", aus dem Französischen übersetzt von Lis Künzli, Propyläen Verlag
Propyläen - Hinter den Fassaden von Versailles