Unternehmen im Kleid von Bürgerinitiativen

Lobbying an der gesellschaftlichen Basis

Die klassische Werbung ist am Ende, zumindest was ihre Glaubwürdigkeit angeht. Damit sie ihre Produkte und Kampagnen trotzdem ins öffentliche Bewusstsein bekommen, müssen Lobbyinitiativen und Werbeindustrie andere Wege gehen.

Über so "genanntes Astroturfing" versuchen sie neue soziale Bewegungen vorzutäuschen.

"Bürger für Technik" nennt sich ein deutscher Verein, der viel an Schulen aktiv ist und sich auf die Fahnen geschrieben hat, für mehr Verständnis in Bezug auf Technik und Naturwissenschaften zu werben. Erstaunlicherweise findet dabei auch das Thema Atomkraft Verwendung. Der Grund? "Bürger für Technik" wird zu einem großen Teil von der Atomlobby finanziert.

Ziel von Initiativen wie "Bürger für Technik" ist die möglichste perfekte Imitation von Grassrootbewegungen. Die Grassroot, zu Deutsch Graswurzel, basiert auf der Vorstellung, dass es sich um Protest von der gesellschaftlichen Basis aus handelt. Die Anti-Atombewegung wäre ein Beispiel dafür, Umweltorganisationen oder Open Governement-Initiativen. Menschen wollen ihr Lebensumfeld aktiv mitgestalten und versuchen, möglichst viele Gleichgesinnte zu mobilisieren, egal ob mit Unterschriftenlisten auf dem Marktplatz oder E-Petitionen im Internet.

Bei traditionellen Grassroot-Aktionen in den USA wenden sich Bürgerinnen gezielt an Politikerinnen. Mit Briefen, E-Mails oder Telefonanrufen versuchen sie politische Entscheidungen einzufordern, die ihr direktes Lebensumfeld betreffen. Die Eigeninitiative von Menschen, ihre Spontanität und ihre Kreativität sind dabei zentral. Sie veranstalten Informations- und Koordinationstreffen, vernetzen sich und wollen so eine möglichst große mediale Schlagkraft entwickeln.

Glaubwürdigkeit gegen Geld

Die große Stärke dieser Aktionen ist aber ihre Glaubwürdigkeit. Und diese Glaubwürdigkeit ist für die Lobbyindustrie sehr verlockend. Über so genanntes Astroturfing versuchen Agenturen Grassrootbewegungen zu imitieren. Astroturfing, der Begriff, wurde vom Markennamen einer amerikanischen Kunstrasensorte entlehnt. Eine Anspielung darauf, dass Bürgerinitiativen ebenso wie Graswurzeln von unten kommen und organisch wachsen, nur sind die scheinbaren Bürgerinneninitiativen künstlich initiert.

Unterstützerinnen werden meist unter falschen Voraussetzungen und ohne Wissen um die wahren Drahtzieher dieser Bewegung akquiriert. Für das nötige PR-Kapital sorgen Unternehmen.

Beispiele für solche Astroturfings sind schwer zu durchschauen. In der Regel wird die scheinbare Graswurzelbewegung mit anderen, klassischen Werbekampagnen kombiniert. Am erfolgreichsten war eine Kampagne dann, wenn die mediale Öffentlichkeit gar nicht weiß, dass es sie gegeben hat. Oft sind es anekdotische Beweise, trotzdem werden immer wieder einige Fälle aufgedeckt.

Die "Waste Watchers" etwa. In den neunziger Jahren trat diese Initiative auf den Plan. Auf Umweltmessen kippten sie eimerweise Müll vor die Stände von BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und Greenpeace. Die Schein-Aktivistinnen demonstrierten gegen die Umweltschützerinnen, weil diese Müllverbrennungsanlagen verhinderten. Hinter den "Waste Watchern" stand das Unternehmen Tetra Pak.

Gekaufte Bürgerinnen

Es gibt nicht nur unterschiedliche Wege, sondern auch unterschiedliche Abstufungen von Astroturfing. Die einfachste Form ist auch die bekannteste: Ein Unternehmen oder eine Lobbyorganisation beauftragt Agenturen, um Mitarbeiterinnen unter artifiziellen Namen in Online-Foren Kommentare schreiben zu lassen. Bei aufwändigeren Kampagnen wird versucht, nicht nur bezahlte Akteurinnen zu haben, sondern reale Menschen, die an die Politik herantreten.

Unternehmen sorgen bei solchen Aktionen für die nötige Finanzkraft und für unterstützende Strukturen, über die die Menschen akquiriert werden sollen. Das Crowdsourcing, ein Konzept aus der Wirtschaft, bei dem Tätigkeiten auf die Intelligenz und die Arbeitskraft einer Masse von Freizeitarbeitern im Internet ausgelagert werden, steht hier Pate. Eine Schar kostenloser oder gering bezahlter Amateure generiert für die Lobbys den politischen Druck - freiwillig.

Für Ulrich Müller, den Vorstand der deutschen NGO "Lobbycontrol", ist die "Gesellschaft für umweltgerechte Straßen- und Verkehrsplanung", kurz GSV, aus Deutschland ein Beispiel für effizientes Crowdsourcing. Die Initiative hinter diesem schön klingenden Namen tritt für mehr Straßenbau ein. Bürgerinitiativen, die für Umfahrungsstraßen im eigenen Ort eintreten, werden unterstützt.

"Die GSV gibt zum Teil Anregungen, solche Bürgerinitiativen zu gründen, andererseits sind es auch echte Bürgerinitiativen, die sowohl strategisch als auch finanziell von diesem Verbund von Asphalt-, Bau-, Straßenlobby mitunterstützt und gefördert werden."

Die deutsche LobbyControl hat sich zum Ziel gesetzt, über Lobbying, PR-Kampagnen und Denkfabriken zu informieren. Auch im Rahmen der Privatisierung der Deutschen Bahn beobachtete die NGO eine verdeckte Kampagne, die zumindest eine Zeit lang geholfen hat, den gesellschaftlichen Druck gegenüber den Privatisierungsvorhaben, den echte Graswurzelbewegungen wie "Bahn für alle" erzeugten, zu mindern.

Über eine Lobbyagentur wurde eine Denkfabrik beauftragt, die vermeintlich unabhängige Umfragen gemacht hätte, so Müller: "Und es gab auf einmal eine Bürgerinitiative pro Bahnprivatisierung, die aber eigentlich nur virtuell aufgetreten ist. Im Nachhinein konnten wir die Verbindung zur Deutschen Bahn nachweisen."

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