Notfall-Richtlinie soll aufleben
EU-Kommission will Flüchtlinge aufteilen
Tag für Tag flüchten hunderte Menschen aus Libyen und Tunesien nach Italien und Malta. Die zuständige EU-Kommissarin will nun eine Richtlinie aktivieren, um die Flüchtlinge auf alle EU-Länder aufzuteilen. Doch davon wollen Länder wie Deutschland und auch Österreich bisher nichts wissen.
27. April 2017, 15:40
Mittagsjournal, 05.04.2011
Kommissarin aktiviert Richtlinie
Jahrelang lag sie in der Schublade - jene EU-Richtlinie, die ein Verteilen der Flüchtlinge auf andere EU-Staaten ermöglicht. Erst im Fall eines massiven Andrangs von Flüchtlingen, die das Erstankunftsland überfordern, kann sie aktiviert werden. Cecilia Malmström, die EU-Innenkommissarin zieht diese Richtlinie nun aus der Schublade. Immerhin trete nun der Erstfall ein, sagt Malmström: "Von den 400.000 Menschen. die wegen der Konflikte in den arabischen Ländern geflüchtet sind, sind zwar viele wieder in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt. Aber mehrere tausend Flüchtlinge können nicht zurückgeführt werden. Für sie brauchen wir ein europäisches Umsiedelungsprogramm."
Appelle und Geld
Mit diesem Vorschlag für ein europäisches Umsiedelungsprogramm wird Cecilia Malmström wohl nur bei zwei Mitgliedsstaaten offene Türen einrennen, nämlich bei Italien und Malta. Die beiden Länder - allen voran Italien - sind derzeit die Hauptbetroffenen. Denn wegen der "Dublin II"-Verordnung müssen sich jene EU-Länder um die Flüchtlinge kümmern, wo die Menschen ankommen. Die Innenkommissarin appelliert zwar an die Solidarität der anderen EU-Staaten, gleichzeitig aber lockt sie auch mit Geld: 25 Millionen Euro stellt Cecilia Malmström in Aussicht: "Die EU-Kommission ruft die Mitgliedsstaaten dazu auf, sich aus Solidarität am europäischen Umsiedelungsprogramm zu beteiligen, und wir stellen finanzielle Hilfe bereit."
EU-Widerstand
Die EU-Innenkommissarin muss sich auf einen harten Schlagabtausch mit den Mitgliedsstaaten gefasst machen. Immerhin haben die europäischen Innenminister bei ihrem letzten Treffen Ende Februar nicht einmal über einen möglichen Flüchtlingsansturm reden wollen, und schon gar nicht über die Aktivierung der Flüchtlingsrichtlinie.
Langfristige Strategie
Um diesem Flüchtlingsstrom zu begegnen, appelliert Cecilia Malmström auch an die EU-Staaten, die EU-Grenzschutzorganisation Frontex mehr als bisher zu unterstützen. Österreich etwa hat zuletzt nur einen Mitarbeiter zur Verfügung gestellt. Frontex soll die Grenzkontrollen verstärken und Menschenhandel wirksamer bekämpfen. Außerdem müsse Europa eine langfristige Strategie erarbeiten, um die Immigrationsströme zu regeln. Cecilia Malmström trifft nächste Woche die Innenminister.
Rom verhandelt mit Tunis direkt
Mittagsjournal, 05.04.2011
Nächtliche Verhandlungen in Tunis
Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi bemüht sich unterdessen, mit Tunesien direkt ein Abkommen zu schließen. Am Montag war Berlusconi zu diesem Zweck in Tunesien. Seine Mission war aber kein Erfolg. Er, der mit einem konkreten Ergebnis nach Hause wollte, musste ankündigen, dass sein Innenminister heute nach Tunis zurückkehren wird. Dessen Beamte wiederum verbrachten die Nacht an den tunesischen Verhandlungstischen. Größter Knackpunkt der bilateralen Gespräche ist die Rückführung der nach Italien geflohenen Tunesier.
Innenpolitisches Dilemma
Während Silvio Berlusconi von der tiefen Freundschaft und der hervorragenden Zusammenarbeit zwischen Italien und Tunesien sprach, titelten Tunesiens Zeitungen heute einfach: Kein Abkommen mit Italien. Doch das Flüchtlingsproblem ist für Berlusconi auch ein innenpolitisches Dilemma. Denn die Lega Nord fährt ihren harten Ausländerkurs fort. Die Beziehungen Berlusconis zu seinem Innenminister, dem Lega-Politiker Maroni, seien daher frostig, heißt es.
Von EU allein gelassen
In einer Montagabend eilig einberufenen Gesprächsrunde zwischen Berlusconi und den Lega-Spitzen wurden hinter verschlossenen Türen einige Parameter festgelegt. Näheres wurde nicht bekannt, nur so viel, dass Umberto Bossi einer vorübergehend Aufenthaltsgenehmigung für tunesische Bootsflüchtlinge zustimmen will. Damit könnten die Migranten frei in die Länder des Schengen-Raums einreisen. Unter anderem, um ihre Verwandten zu erreichen. Italien - so ist hier der Tenor - fühlt sich ohnehin von der EU in Sachen Flüchtlinge - allein gelassen.
917 Flüchtlinge in 12 Stunden
Dass das Thema noch lange nicht vom Tisch sein wird, zeigt weiter die Lage in Lampedusa. Und der Flüchtlingsstrom Richtung Italien reißt nicht ab. In den vergangenen 12 Stunden sind wieder 917 Menschen angekommen. Gestern erreichte ein Boot sogar Sardinien.
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