Tribunal entscheidet über kroatischen General
Vor Urteil über Ante Gotovina
Vom Haager Tribunal wird heute ein für Kroatien brisantes Urteil verkündet. Angeklagt sind drei kroatische Generäle. Ihnen wird vorgeworfen, für die Vertreibung von 150.000 Serben verantwortlich zu sein. Die Verteidiger plädieren auf Freispruch, und darauf hoffen auch viele Kroaten, die im Zentrum von Zagreb auf einer Videowand die Verkündung des Richterspruchs verfolgen werden.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 15.04.2011
Erstangeklagter ist General Gotovina
Gegenstand des Verfahrens waren Verbrechen während der Rückeroberung serbisch besetzter Gebiete durch die kroatische Armee im Jahre 1995. Der Ankläger des Haager Tribunals wirft den drei Generälen vor, an einem gemeinsamen verbrecherischen Unternehmen beteiligt gewesen zu sein. Unter Führung des verstorbenen Staatsgründers Franjo Tudjman sollen die Generäle die Massenvertreibung der Serben aus Kroatien geplant und durchgeführt haben und für weitere Verbrechen während der Offensive im Sommer 1995 verantwortlich sein. Erstangeklagter ist General Ante Gotovina; er war jahrelang auf der Flucht und konnte erst im Dezember 2005 in Spanien verhaftet werden.
Volksheld Gotovina
Während die Anklage 27 Jahre Haft für Gotovina fordert, gilt er vielen Kroaten als Volksheld, wie auch eine Straßenbefragung in Agram zeigt: "Ich denke nur das Beste von ihm. Er hat seinen Staat verteidigt und befreit. Wir waren die Opfer, die Serben die Angreifer. Ich hoffe, dass er mit Gottes Hilfe freigelassen wird; das ist die einzige Gerechtigkeit, alles andere ist ein politischer Beschluss."
Individuelle Verantwortlichkeit
Der Vorwurf eines verbrecherischen Unternehmens ist so brisant, weil in den Augen vieler Kroaten damit ihr Verteidigungskrieg selbst in Frage gestellt wird. Diesen Vorwurf weist der Chefankläger des Tribunals, Serge Brammertz, zurück: "Das Gericht schaut nicht auf die Frage, was ein Verteidigungskrieg ist, oder ein aggressiver Krieg. Was das Gericht sich anschaut, ist die individuelle Verantwortlichkeit nach begangenen Straftaten. Es kann überhaupt kein Zweifel daran geben, dass dabei Zivilisten getötet und ermordet wurden."
Unrecht im Verteidigungskrieg
Doch vielen Kroaten fällt auch das Eingeständnis schwer, dass in einem Verteidigungskrieg auf der Seite des Angegriffenen Verbrechen möglich sind. Diese Weigerung erklärt der kroatische Philosoph Zarko Puhovski so: "Einerseits erleben die Menschen den Krieg mit Recht als Konflikt zwischen Völkern und nicht zwischen Individuen; doch wenn unser Volk im Recht ist, dann ist das andere Volk schuldig. Das ist keine kroatische Erfindung. In der Tschechischen Republik kann man bis heute nicht auf objektive Weise über das Recht der Deutschen in den Jahren 1944 und 45 sprechen."
Folgen für EU-Beitritt?
Nicht zu unterschätzen sind auch die möglichen politischen Folgen einer Verurteilung. Die Beitrittsverhandlungen mit der EU gehen in die Endphase und unter den Kroaten ist der Euroskeptizismus weit verbreitet. Dazu sagt der Meinungsforscher Milan Bagic: "Wenn es ein sehr hartes Urteil ist, dann ist das sicher auch eine unangenehme Ausgangslage für das EU-Referendum; dann ist es besser, die Abstimmung hinauszuschieben, weil in diesem Fall auch die Unterstützung für einen EU-Beitritt Kroatiens sinken wird." Hinzu kommt, dass Massendemonstrationen nach einer allfälligen Verurteilung und unbedachte Reaktionen der kroatischen Führung auch in der EU negative Folgen haben und den Abschluss der Beitrittsverhandlungen ebenfalls verzögern könnten.