Vom süßen Landleben

Die Schäferidylle

Die Schäferidylle - in Antike, Renaissance, Barock und Romantik - spielt in einer Ideallandschaft. Sanft hügelig ist sie, ein Bach vielleicht oder ein kleiner See, Laubbäume - immergrün. Das Vieh ist zahm und brav, die Arbeit wird im Spazierengehen erledigt. Es regnet nie, das Gras ist saftig und gut getrimmt. Wie am Golfplatz.

Debatten um eine bessere Welt

Aber du kannst ja bei mir die Nacht hier pflegen des Schlummers
Auf grünlaubigem Lager: da sind mildschmeckende Äpfel,
Weiche Kastanien auch, und gefestete Milch zur Genüge


Zwanglos, entschleunigt und ruhig - das Landleben hat Vorteile, argumentiert Titryus gegenüber Meliboeus. Die Folie der bukolischen Eintracht ist straff gespannt, ein verheißender Zustand. Der römische Dichter Vergil nutzt sie geschickt. Auf ihr lässt er seine Hirtensänger über handfeste, tagespolitische Probleme debattieren und sich empören: Landenteignung, Weiderecht, der Gegensatz von Stadt und Land, die Erwartung eines Heilsbringers. 35 v. Chr, Bucolica, die Eklogen des Vergil. Das goldene Zeitalter. Gerechtigkeit und Frieden. Eine Verneigung vor Kaiser Augustus, der den Bürgerkrieg beendet hat.

Scharlach wird ganz von selbst die weidenden Lämmer bekleiden.

Über Jahrhunderte hinweg passiert hier: nichts. Von Hesiod bis Jacopo Sannazaro Cervantes und Goethe wird in Arkadien, in jener unverdorbenen Ursprungszeit, primär gedichtet und in Einklang mit der Natur gelebt. Auf der Karte zu finden auf dem Peloponnes oder Sizilien. Wie es euch gefällt.

Die Felder tragen ohne Aussaat, die Felle der Ziegen und Schafe leuchten ohne Zutun des Menschen in allen Farben; es fließen Ströme von Milch, Nektar und Honig; Balsam, Weihrauch und Myrrhe verbreiten den Duft eines ewigen Frühlings.

Ab und zu vielleicht noch ein kleiner Sängerwettstreit, wie ihn Theokrit in seinen "Idyllen" 300 v. Chr vorformuliert, aber sonst herrscht unter den Schäfern raue Barmherzigkeit und unschuldige Muße. Menschen koexistieren friedlich mit den Göttern und den Tieren. Alles in allem, recht fad. Also kommt die Liebe ins Spiel.

Gebt Euch zwanglos!

Um 1625 schreibt Honoré d'Urfé einen galanten Schäferroman. Ein sprachliches Wimmelbild aus "preziös"-affektierten Gspusis. Der Schäfer Celadon liebt die Schäferin Astrée. Der Aristo im Schafspelz schmachtet und das zieht sich vier Bücher lang, in französischer Prosa - immerhin, das Lateinische ist überwunden. Angesiedelt ist die "Pastoralromanze" in Urfés Heimatregion, dem Forez, aber zeitlich vorversetzt, ins 5. Jahrhundert n. Chr., in die "gute" Zeit der Völkerwanderung, als es, so der Altadelige Urfé, noch keine willfährigen Könige und höfischen Zwänge gab.

Schäferliteratur von der Antike bis ins Barock huldigt generell das Leben abseits gesellschaftlicher Zwänge. Kostümspielchen inbegriffen. Auch der zurückhaltende Celadon verkleidet sich als Druidin um seiner Astrée dann und wann unter den Rock schauen zu können. Eric Rohmer wird die Geschichte von der Liebe zwischen Astrée und Celadon 2006 verfilmen. Empfindsame unter sich.

Gerahmte Idyllen

Der Kurator und Barockspezialist Georg Lechner klickt sich durch die Datenbank der Österreichischen Galerie Belvedere. Er inspiziert zwei Bilder von Joseph Roos dem Älteren, und noch eines von Franz de Paula Ferg, Mitte des 18. Jahrhunderts. Da kann man Schäferpärchen und Schafe zur Genüge zählen. Vor allem aber ist die Farbgebung bestimmend, die von Fernweh, Italiensehnsucht und dem Bedürfnis nach friedlichen Existenzformen erzählt. An Grausamkeit steht das Barock keinem Zeitalter nach.

Amor vincit omnia?

Marie Antoinette vergnügt sich in Versailles auf ihrem "Hameau de la Reine", nimmt in dem Kulissendorf mit Kleinvieh die Perücke ab und zieht an diversen Ziegen- und Schafseutern. Schäferspiele. Aber diese Simulationen des einfachen (Land-)Lebens sind nicht, wie in den Jahrhunderten vor ihr, Sinnbild eines Herrschaftsideals, nämlich: der Fürst/die Fürstin als guter Hirte/gute Hirtin - nein, Marie Antoinette treibt die Dekadenz auf die Spitze. Die Guillotine wird darauf in aller rationalen Schärfe antworten.

Währenddessen denkt ihr republikanisches Pendant, der viel gelesene Schweizer Bukoliker Salomon Gessner über die Darstellung von "Idyllen" nach:

In einem Lande, wo ein hochgräflicher Graf, oder ein gnädiger Herr Baron den Landmann zum armen Sklaven macht, da mag letzterer kleiner und verächtlicher seyn, als bey uns, wo die Freiheit ihn zum besser denkenden braven Mann macht; und ich getraute mir, auf unsern Alpen Hirten zu finden, wie Theokrit zu seiner Zeit, denen man wenig nehmen und wenig leihen dürfte, um sie zur Ekloge zu bilden.

Gessner schlägt vor: klare Standesgrenzen in der ländlichen Wunschwelt, bei Schlechtwetter darf das Alter Ego, also der Hirte, ein gutes Buch zur Hand nehmen. Gessner, der Zürcher Stadtfrack, will nicht zum Alphirten werden. Vielmehr beschreibt er das Land, die "Idylle", als einer der ersten als touristisches Ausflugziel. Fahrt raus und schaut es euch an! Die Natur gehört allen! Schubertsche Landpartien folgen einige Jahrzehnte später. Seitdem kalkulieren die Touristiker, weil jedes Schaf zählt.