Roman von Thomas Hettche
Die Liebe der Väter
Ein wenig ist Thomas Hettches aktueller Roman von der Wirklichkeit überholt worden, denn während der Autor über einen Vater schrieb, der darunter leidet, dass seine Ex-Frau das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter Annika hat und er versucht, sich der inzwischen 13-jährigen Tochter zu nähern, stärkte das deutsche Bundesverfassungsgericht mit einem Grundsatzurteil die Rechte der Väter.
8. April 2017, 21:58
Der Qualität des Buches tut dies natürlich keinen Abbruch. Gleichzeitig gewandt und behutsam erzählt Hettche, wie sein Protagonist Peter mit seiner Tochter auf Sylt Urlaub macht und dabei versucht, seine schwierige und konfliktbelastete Beziehung zu Annika zu verbessern. Eine Geschichte, die für Thomas Hettche auch eine persönliche Komponente hat:
"Es gibt einen persönlichen Hintergrund, aber das Buch ist Fiktion, also ist eine Erfindung, also alles ist sozusagen nicht authentisch, nicht autobiografisch."
Machtkampf ums Kind
Und so hat der Autor nicht nur eigene Erfahrungen eingebracht, sondern sich eingehend mit dem Thema beschäftigt und mit anderen, betroffenen Vätern gesprochen:
"Diese Rechtslage, die die Väter ja sozusagen zu einer Art Ohnmacht verurteilt hat, wenn eben die Mutter das so wollte, produziert eben wirklich so ein Gefühl von Versagen gegenüber den eigenen Kindern, weil man ja nicht so handeln kann, wie man will. (...) Und wirklich, das Schöne war, die Erfahrung zu machen, dass es anderen Vätern genauso geht. Ich habe mit sehr vielen Vätern gesprochen und habe quasi deren Geschichten aufgenommen und mir angeschaut. "
Hettches Protagonist Peter ist schon lang von Annikas Mutter Ines getrennt, aber der Machtkampf um das gemeinsame Kind dauert an. Ein Silvesterurlaub auf Sylt soll eine Annäherung zwischen Vater und Tochter bringen. Peter hat selbst als kleiner Junge viele Sommer auf Sylt verbracht und hofft, diese Erinnerungen mit Annika teilen zu können. Aber der rebellische Teenager macht es ihm nicht leicht, und Peter beklagt wiederholt die Gesetzeslage, die ihn zu einer bloßen Randfigur im Leben seiner Tochter degradierte, und macht sich Gedanken über die Vaterliebe.
Zitat
Nicht, weil sie da sind, lieben Väter ihre Kinder. Ich glaube, die Liebe der Väter entsteht, wenn sie zum ersten Mal in ihnen diese ganze, voraussetzungslose Fülle spüren, die wir alle in uns tragen. Dieses plötzliche Wissen, was wir füreinander sein können. Für Männer ist das, glaube ich, eine andere Erfahrung als für Frauen, sie kann einen wirklich verändern, und es gibt wenig, was Männer sonst verändert. Manchmal denke ich, es sollte zwei Wörter geben für das Kind der Mutter und dasjenige des Vaters, und eigentlich denke ich, eine Tochter ist immer nur eines Vaters Kind.
Voll Respekt gezeichnet
Nicht ganz von ungefähr erzählt Thomas Hettche seine Geschichte in der Ich-Form. Wohl ist Peter ein stellenweise enervierend wehleidiger Protagonist, der sein "verdorbenes Verhältnis" zu Annika ebenso beweint wie den Niedergang der Buchkultur, und dessen hervorstechendste Charaktereigenschaft eine scheinbar permanente Ratlosigkeit ist. Dennoch bleibt er nachvollziehbar, wird in all seiner Schwäche verständlich und bis zu einem gewissen Grad sogar liebenswert. Hettche skizziert seine Hauptfigur feinfühlig und voll Respekt und meint, dass es nötig war, den Roman ganz aus Peters Perspektive zu schreiben:
"Bei einem Thema, das einen selber so betrifft, ist man natürlich versucht, sich zu rechtfertigen oder auf irgendeine Weise über die Figuren zu stellen und das wäre, glaube ich, schiefgegangen. Dann hätte ich eine Art Sachbuch oder eine Polemik geschrieben. Aber das ist ein Roman. Und das Schwierigste war, den Ton zu finden, der glaubwürdig war. (...) Dieser Vater ist sozusagen im Grunde ein sehr hilfloser Vater, der eben versucht, mit seiner pubertierenden Tochter ein Verhältnis zu finden unter diesen Bedingungen. Und das war das Entscheidende, dass ich eine Erzählerfigur habe, die nicht schlauer ist als irgendjemand. Und die sich auch nicht gegen irgendwelche Frauen richtet, sondern die einfach nur von ihren eigenen Problemen spricht. Die Hauptarbeit war für mich wirklich, zu versuchen, das Psychogramm von dieser Art von Vätern zu zeichnen und zwar möglichst vielfältig und möglichst differenziert."
Leichte Sprache
Auch sprachlich hat Hettche versucht, neue Wege zu gehen. Er wollte eine ganz leichte Sprache finden, meint er selbst, eine fast durchsichtige Sprache, die sich so gut wie unsichtbar mache. Leicht ist seine Prosa tatsächlich, unaufdringlich und eingängig, ohne banal zu werden, und dass bei den Dialogen auf die Anführungszeichen verzichtet wird, hat ebenfalls einen guten Grund:
"Beim Lesen weiß man im Grunde nicht - es gibt eine Unsicherheit, ob jetzt gerade eine Beschreibung kommt oder ob gerade eine wörtliche Rede kommt. Und das glaube ich schafft eine Aufmerksamkeit für die sprechende Person. Und schafft sozusagen auch so ein Verschwimmen zwischen innerer Stimme und äußerer Stimme an manchen Stellen."
Service
Thomas Hettche, "Die Liebe der Väter", Kiepenheuer & Witsch
Kiepenheuer & Witsch - Thomas Hettche