Die Alte Donau in Wien

Boote, Biber, Badespaß

Nicht mehr als sieben Stationen mit der Wiener U-Bahn-Linie 1 trennen Gotik und Barock von Korsar und Kajak. Vom Dom aufs Boot sind es bloß neun Minuten. Ein Katzensprung ist es vom Stephansplatz an die Alte Donau. Von Gemälden und Skulpturen zu Wels und Biber. Vom Stadtpark ins Schilf. Vom Pflaster an den Strand.

Vom Wasserpark bis zum Seestern bringt es die Alte Donau auf knapp sechs Kilometer Länge. Damit ist sie so lang wie der Grundlsee und um einiges länger als Fuschl- oder Irrsee. Ihre gesamte Uferlänge beträgt 17 Kilometer. An Fläche ist sie größer als der Lunzer oder der Klopeiner See.

Das wirklich Besondere an ihr ist aber, dass sie mitten in der Weltstadt Wien liegt. Buchstäblich vor der Haustür sind die Bewohner der Metropole mit einem einzigartigen Erholungsgebiet gesegnet, das zugleich ein bemerkenswerter Naturraum geblieben ist.

Noch im 18. Jahrhundert verzweigte sich der Donaustrom flussabwärts der Wiener Pforte in fünf Arme. In der heutigen Alten Donau floss der Hauptstrom. Nach Abschluss der Regulierungsarbeiten im April 1875 ergoss sich die Donau in ihr neues, ihr heutiges, Flussbett. Aus dem früheren Hauptstrom wurde zwischen Floridsdorf und Stadlau ein Altwasser.

Neues Leben am alten Wasser

Die Folgen für die Entwicklung des umliegenden Stadtgebietes waren entscheidend. Das lag nun plötzlich an einem "Donausee". Rasch entstanden ganze Vergnügungsviertel, wie das Franz-Josefs-Land am Kaiserwasser oder gepflegte Siedlungen im Cottagestil. Rudervereine und Segelclubs siedelten sich an. Die einfachen Gaststätten, die vor der Donauregulierung von Schiffsmüllern frequentiert worden waren, wandelten sich in Strandgasthäuser und touristische Ufertavernen.

Die ersten Bäder und Schwimmschulen wurden bald eröffnet. In kurzer Zeit entfaltete sich eine Dynamik der Kolonialisierung der Uferlandschaft. Es dauerte nicht lange, bis sich von der Militär-Schwimmschule bis zum Arbeiterstrandbad mehr oder weniger deutlich abgegrenzte Soziotope etablierten.

Bewegte Geschichte

Ein anschauliches Bild all dessen kann man aus dem faszinierenden (leider vergriffenen) Buch gewinnen, das der früh verstorbene Wasserbau-Experte Gernot Ladinig herausgegeben hat. Die Alte Donau. Menschen am Wasser. Perspektiven einer Landschaft (Bohmann Verlag) versammelt Hunderte historische Postkarten und Ansichten, zahlreiche alte Landkarten und fundierte Texte über die Alte Donau.

Schmökert man in dem Band, tun sich ganze Welten auf, angesichts der "Schinakln" mit bunten Baldachinen, die da um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vor dem Laberlweg schippern, oder der Wäscherinnen am Schüttauplatz in Kaisermühlen. Da werden mit kolorierten Postkarten heitere Grüße aus dem Franz-Josefs-Land mit seinen Hutschen und Gastwirtschaften verschickt. Daneben protzen die "Wassergigerln" in ihren quergestreiften Ruderleiberln.

Ein paar Seiten weiter sind nicht nur die Jollen und Zillen zu sehen, die in den Werften an der Alten Donau seit jeher gebaut wurden, sondern auch alte Aufnahmen des ersten Schnellboots, das 1915 auf der Alten Donau getestet wurde – ausgestattet mit drei Flugzeugmotoren mit je 250 PS. Dass es an der Oberen Alten Donau auch ein Abfertigungsgebäude für Wasserflugzeuge gab, überrascht schon nicht mehr. (Um 1922 wurde eine Junkers F13 für Linienflüge zwischen Wien und Budapest eingesetzt. In Wien startete und landete sie auf dem Wasser der Alten Donau.)

Bis heute lässt sich aus Ortsbezeichnungen, Gassen und Straßennamen in diesem Gebiet vieles aus seiner Geschichte ablesen. Das "Mühlschüttel"-Viertel nördlich der Oberen Alten Donau erinnert daran, dass dort bis zur Donauregulierung auf einem Schüttel, einer Schotterinsel im Fluss, zahlreiche Schiffsmühlen in Betrieb waren. An der Unteren Alten Donau gaben die kaiserlichen Schiffsmühlen dem Stadtteil seinen Namen. Die "Morelligasse" ist nach den Musiker-Brüdern Franz und Ludwig Morelli benannt, die bei den weithin beliebten "Müllerkirtagen" den wohlhabenden Schiffsmüllern aufspielten. Gleich ums Eck verweist die "Fultonstraße" über den Namen des amerikanischen Schiffsbauingenieurs auf die verblüffend lange Geschichte des Schiffsbaus an der Alten Donau.

Wohnen am Bruckhaufen

Die Liste an "sprechenden" topographischen Bezeichnungen und Straßennamen ließe sich lange fortsetzen – von der Roßschwemme über den Lovaraweg und die Kugelfanggasse bis zum Bruckhaufen. Letzterem, diesem Viertel westlich des Donauparks und südlich der Oberen Alten Donau, fühlt sich Willi Resetarits ganz besonders verbunden. Meist wird das ehemalige Mitglied der Schmetterlinge, bekannt auch als Kurt Ostbahn, dem burgenländischen Stinatz zugeordnet. Aber als Kind und Jugendlicher hat er von 1958 bis 1971 am Bruckhaufen prägende Jahre erlebt.

"Für mich ist die Alte Donau mein zentrales Gewässer", sagt Willi Resetarits. "Da habe ich schwimmen gelernt. Da wäre ich fast ertrunken. Die ersten Mutproben habe ich überstanden, wenn wir zum Floß hinausgeschwommen sind." In seiner gewohnt launigen Art erzählt Willi Resetarits von den Wasserleichen, deren eine oder auch mehrere in fast jedem Jahr geborgen werden mussten. "Die lagen dann da, zugedeckt, am Dragonerhäufl, bis endlich der Leichenwagen gekommen ist. Aber die Leute, die da zum Baden waren, hat das nicht abgehalten, ihr mitgebrachtes Schnitzerl zu verzehren."

Ins Schwärmen kommt der selbsternannte "Botschafter des Bruckhaufens", wenn er vom "Birner" spricht, dem alteingesessenen Strandgasthaus jenseits des schmalen Stegs drüben im Mühlschüttel. "Der Blick vom terrassierten Garten ist wunderbar. Seinen ganzen Charme entfaltet er im Sommer. Wenn's kühler wird im Herbst, heizen die Wirtsleute drinnen in der holzgetäfelten Gaststube bald einmal den eisernen Ofen mit dem langen Ofenrohr ein. Das hat dann wieder einen ganz anderen Reiz."

Vier-Kreuzer- und Zehn-Kreuzer-Bad

Als Willi Resetarits noch ein Kind war, betrieben die legendären Wirtsleute auch noch eines ihrer ehemals zwei Bäder. "Aus dem Birner'schen Vier-Kreuzer-Bad war da schon lange das Angelibad geworden. Aber das frühere Zehn-Kreuzer-Bad, das schon 1896 gegründet worden war, das existierte noch bis in die frühen 1970er Jahre. Wir hatten dafür aber kein Geld. Wir badeten wild, drüben am 'Schotter' beim Dragonerhäufl."

Seit 2002 wohnt Willi Resetarits wieder am Bruckhaufen im Haus seiner mittlerweile verstorbenen Eltern. Aus dem Viertel, neben dem bis 1963 zwischen Mülldeponie und Hochwasserschutzdamm das ehemals illegal besiedelte armselige "Bretteldorf" gestanden ist, ist längst ein Grätzel von mehr oder weniger kleinbürgerlichen Einfamilienhäusern geworden. Jenseits des Donauparks ragt die Skyline der Donau-City in den Himmel.

Neuerdings scheinen auch smarte Immobilienentwickler die Alte Donau entdeckt zu haben. An einzelnen Uferabschnitten sind die Versuche, die hohe Lebensqualität mitten in der Weltstadt profitabel zu vermarkten, nicht mehr zu übersehen. Wohnen wie am Wörthersee wird man bei Kagran wohl trotzdem nicht. Dafür ist die Alte Donau einfach zu... wienerisch. Und das wird sie hoffentlich auch bleiben.

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