Max Ophüls inszeniert Johann Wolfgang von Goethe

Alte Meister

Der Text ist 185 Jahre alt, das Hörspiel selbst hat immerhin auch schon 58 Jahre auf dem Buckel. Eigentlich ist es ja niederschmetternd. Zumindest für Menschen, die an so etwas wie den Fortschritt glauben.

Die also tatsächlich der Ansicht sind, dass gegenwärtige Produkte besser sind als die der Vergangenheit. Allein schon deshalb, weil die Mittel, die Methoden und die Techniken sich entwickeln und weil uns die Gegenwart erlaubt, auf den Erfahrungen der Vergangenheit aufzubauen. Unsereins ist daher auch der Ansicht - wofür auch tatsächlich eine Menge spricht -, dass heutige Radioprogramme besser, aufregender und interessanter sind als die aus Dampfradiozeiten. Und dann das. Dann stößt man auf eine Produktion aus dem Jahr 1953 - und die ganze schöne Fortschrittsthese ist futsch.

Max Ophüls Hörspielfassung von Johann Wolfgang von Goethes "Novelle" gilt bis heute als bahnbrechend und meisterhaft. Und das, obwohl es sich um die erste Radioarbeit des Schauspielers, Regisseurs und Filmemachers handelt. Drei Jahre später sollte eine zweite, nicht minder berühmte, folgen. Bald nach der Realisierung seiner ebenso legendären Hörspielbearbeitung von Arthur Schnitzlers Novelle "Berta Garlan" im Jahr 1956 starb der Regisseur in Hamburg.

Goethes symbolträchtige "Novelle"

Max Ophüls, 1902 als Max Oppenheimer im Saarland geboren, las während der Emigration in Amerika Goethes "Novelle" aus dem Jahr 1826. Der greise Geheimrat erzählt darin symbolträchtig von einer Feuerbrunst auf einem Jahrmarkt nahe der fürstlichen Residenz. Die Gesellschaft bei Hof fällt in Panik, weil Raubtiere freigekommen sind. Die Schausteller sind fremdartige Leute, die zärtlich an ihren Tieren hängen, sie bangen um ihren kostbaren Besitz. Ein Tiger wird niedergeschossen, als er die Fürstin scheinbar in Gefahr bringt. Dass das Tier harmlos gewesen sein muss, erfährt die staunende Hofgesellschaft angesichts eines Löwen, den das Kind der Schausteller - unwissend und arglos - in natürlicher Zuwendung durch sein Flötenspiel besänftigt.

Erzählmittel des Radios

"Zu zeigen, wie das Unbändige, Unüberwindliche oft besser durch Liebe und Frömmigkeit als durch Gewalt bezwungen wird, war die Aufgabe", schrieb Goethe 1827 nach Vollendung seiner "Novelle". Was Ophüls damals wie ein magisches Gegenbild zu Krieg und Verfolgung im heimischen Europa erschien, hat ihn nicht mehr losgelassen. 1953 versuchte er, die Intensität seiner Lektüre-Erfahrung noch einmal mit den Erzählmitteln des Radios einzuholen. Filmisch geradezu erzählt er die Geschichte. Und nutzt hochmodern und seiner Zeit weit voraus alle Mittel, die das Radio zu bieten hat: Erzählung, Geräusch, Spielszenen, Musik. Wobei Ophüls es sich nicht nehmen ließ mit den Besten seiner Zeit zu arbeiten. Den "Vorleser" gibt der damals noch sehr junge Oskar Werner - unnachahmlich wie stets -, für weitere Hauptrollen wurden Käthe Gold, Willy Birgel und Therese Giehse verpflichtet. Für die Musik schließlich sorgte einer, der die Geschichte der Hörspielmusik wie nur wenige nach ihm prägte: Karl Sczuka. Nach ihm ist bis heute einer der wichtigsten Auszeichnungen für avancierte Werke der Radiokunst benannt.

Neue Hörspielreihe an Feiertagen

Mit Goethes "Novelle" in der Bearbeitung und Inszenierung von Max Ophüls eröffnet Ö1 übrigens eine neue Reihe. Jeden Feiertag um 16 Uhr präsentiert die Hörspielredaktion Höhepunkte aus der Hörspielgeschichte und Hochglanzproduktionen aus der Gegenwart. Bereits am Pfingstmontag präsentieren wir "Der Prozess Talaat Pascha", ein halbdokumentarisches Hörspiel von Kai Grehn, das in einem Berliner Gerichtsprozess den Völkermord an hunderttausenden Armeniern unter der Herrschaft der Türkei nachzeichnet. Und zu Fronleichnam, am 23. Juni, gibt es aus Anlass der bevorstehenden Mittsommernacht ein Wiederhören mit Susi Nicoletti, Marion Degler und Klaus Jürgen Wussow als "Mr. Hyde" in einem gleichnamigen Stück des amerikanischen Schriftstellers Russell Graves.