Hoffnung auf Freigang
Schubhaft: 30 Prozent im Hungerstreik
Die Zahl der Schubhäftlinge in Österreich geht zurück, aber immer noch sind rund 430 Schubhäftlinge pro Monat in den Polizeigefangenenhäusern untergebracht. Viele von ihnen verletzen sich in der Haft selbst und rund 30 Prozent treten in Hungerstreik - aus Verzweiflung, und um als haftunfähig freigelassen zu werden.
27. April 2017, 15:40
Mittagsjournal, 28.05.2011
Bernt Koschuh hat im Wiener Polizeigefangenenhaus Rossauer Länder mit einer Polizeiärztin gesprochen und sich die Situation der Schubhäftlinge angesehen.
Hungern für die Freiheit
Vor einer Zelle im Frauentrakt des Polizeianhaltezentrums Rossauer Lände steht in kleinen Buchstaben "Hungerstreik" auf einer Hinweistafel. Sechs Frauen sind in der Großzelle untergebracht, dürfen sich auch im ganzen Stockwerk frei bewegen. Langsam und kraftlos wirken sie, eine junge Chinesin, Osteuropäerinnen, zwei Nigerianerin. Eine liegt im Bett. Sie will wie die anderen Frauen kein Interview geben. Sie setzen ihre Hoffnungen ganz in den Hungerstreik. Der kann einem Schubhäftling Haftunfähigkeit und Freiheit in Österreich bringen, sagt Polizeiärztin Siri Schlossar - nach einer Blutzuckermessung, ob der oder die Betroffene überhaupt gehen kann: "Es wäre ja ein Fiasko, wenn der auf der Straße zusammenbricht", so Schlossar.
Überredungskunst statt Zwangsernährung
Vor einer etwaigen Freilassung hält die Polizeiärztin außerdem Rücksprache mit dem zuständigen Fremdenpolizei-Referenten, ob eine Entlassung vertretbar ist. Die häufige Alternative: Körperlich völlig ausgezehrte Hungerstreikende werden in einen Spitalstrakt des Justizzentrums Josefstadt gebracht, wo man versucht, sie mittels Infusionen wieder fit zu bekommen - nicht mit Zwangsernährung, sondern mit "Überredungskunst", versichert die Polizeiärztin.
Verständnis für Hungerstreiks
Wobei die Polizeiärztin für viele Schubhäftlinge und Hungerstreikende Verständnis zeigt: "Einer der Häftlinge hatte am Rücken Narben offensichtlich von einer Auspeitschung. Ich war fassungslos, dass man so jemanden abschiebt. Das verstehe ich nicht."
Patienten gleich behandeln
Andererseits gibt es aber auch verurteilte Straftäter, die ihre Strafhaft abgesessen haben und danach zur Abschiebung in die Schubhaft kommen: "Und bei uns gehen sie dann in Hungerstreik. Da habe ich dann weniger Verständnis." Aber als Ärztin müsse sie jeden Patienten gleich und eben als Patienten behandeln.
Selbstverletzungen
Genaue Beobachtung erfordern Fälle von Selbstverletzungen - etwa durch das Schlucken von scharfkantigen Gegenständen. Das komme bei österreichischen Verwaltungsstrafgefangenen ebenso vor wie bei Schubhäftlingen. Schlossars Kommentar: "Es verletzt sich kein Mensch selbst, der nicht in irgendeiner Weise ein psychisches Problem hat."
Verfahren verkürzen
Den Höhepunkt der Verzweiflung ortet die Polizeiärztin unmittelbar vor Abschiebungen - wenn Menschen zurücksollen in jenes Land aus dem sie geflohen oder weggegangen sind, oft unter größten Anstrengungen und mit hohem finanziellen Aufwand. Schlossars Wunsch an Politik und Verwaltung: "Dass die Verfahren etwas beschleunigt werden und nicht bis zu sechs Monate hier sitzen - weil es ja keine Häftlinge sind. Schubhaft nennt sich ja nur Schubhaft."
Mehr Betreuung und Information
Die Grün-Abgeordnete Alev Korun, die den Gefängnisbesuch für Journalisten arrangiert hat, fordert mehr psychologische Betreuung im Polizeianhaltezentrum und bessere Information für Schubhäftlinge. Viele wüssten gar nicht wieso sie im Gefängnis sind. Dieselben Kritikpunkte hat zuletzt auch der Menschenrechtsbeirat des Innenministeriums formuliert.