Interview mit Pierre Bergé

Yves Saint Laurents "Amour fou"

Ende dieser Woche kommt der Film "L'amour fou" von Pierre Thoretton in die österreichischen Kinos. Der Film thematisiert die Beziehung von Pierre Bergé zum Modemacher Yves Saint Laurent. Das Ö1 Kulturjournal hat Bergé bei einer Wien-Visite zum Gespräch getroffen.

Kulturjournal, 30.05.2011

Interview mit Pierre Bergé

Riesige Kunstsammlung aufgebaut

Bergé hat sich um alles Organisatorische und Finanzielle beim Modehaus Yves Saint Laurent gekümmert, beide haben eine riesige Kunstsammlung aufgebaut, die bei einer spektakulären Kunstauktion im Pariser Grand Palais im Februar 2009 alle Rekorde gebrochen hat.

Sehr früh schon kam der 1930 Geborene mit dem Pariser Künstlermilieu in Berührung - etwa mit der Gruppe um Jean Cocteau; er war mehrere Jahre mit dem Maler Bernard Buffet liiert. 1958 begegnet er Yves Saint Laurent, es wurde eine jahrzehntelange Beziehung, mit allen Höhen und Tiefen.

Direktor der Opéra Bastille

Bergé war im Kunstmilieu immer sehr aktiv: Als Unterstützer von Präsident Mitterrand hat er wesentlich zum Entstehen der Opéra Bastille beigetragen, deren Direktor er bis 1994 war. Davor leitete er das Théâtre de l'Athénée, wo er Avantgarde-Theater förderte und Soireen organisierte, die damals unbekannte Sängerinnen wie Jessye Norman zum Durchbruch halfen.

Auch politisch war er immer aktiv: als Unterstützer Mitterrands, als Mitbegründer einer Anti-Aids Organisation, als Gründer der Schwulen- und Lesbenzeitung "Têtu". Heute ist er auch Mitbesitzer der altehrwürdigen Tageszeitung "Le Monde". Und immer wieder hat er Museen Kunstwerke geschenkt. Darüber spricht er auch im folgenden Interview.

Christian Fillitz: Der Film "L'amour fou" beginnt mit zwei sehr schwermütigen, traurigen Szenen: zuerst die Ansprache Saint Laurents, wo er ankündigt, sich aus der Modewelt zurückzuziehen, dann ihre Grabrede bei der Beerdigung Saint Laurents. Da bleibt eine gewisse Nostalgie. Wenn sie sich den Film heute ansehen, was empfinden sie da?
Pierre Bergé: Wenn ich mir den Film ansehe, bin ich natürlich sehr traurig bei diesen ersten Bildern. Aber im Leben bin ich nicht nostalgisch, ich möchte nicht bei den Erinnerungen stehenbleiben. Im Gegenteil: Ich glaube man sollte die Erinnerungen in Projekte umwandeln. Das habe ich schon immer versucht. Jeder lebt sein Leben, jeder hat seine geheimen, verschlossenen Schubladen, seine versperrten Türen. Das ist bei mir nicht anders. Man öffnet die nicht jeden Tag seine Erinnerungen. Ich versuche zu leben, ohne mich von den Erinnerungen behindern zu lassen. Wenn wir jetzt von Yves Saint Laurent sprechen: Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an ihn denke, aber ich denke nicht unbedingt mit Traurigkeit und Nostalgie an ihn. Ich kann im Gegenteil an sehr frohe, wunderbare Momente zurückdenken, die wir gemeinsam verbracht haben. Vielleicht ist es das, was mir besonders wichtig ist.

Ich mag die Nostalgie nicht, ich mag keine Menschen, die ihre Zeit damit verbringen, der Vergangenheit nachzuweinen, ihrer eigenen oder der anderer. Die an Orte fahren, wo sie früher waren, nach Marokko etwa, ein Land, das ich sehr mag. Und dann sagen Sie: Ja, früher, da war es schöner, da gab's nicht so viele Touristen - und vergessen, dass sie selbst Touristen sind. Und es stimmt: es gibt mehr Tourismus, aber es gibt auch mehr Schulen, es gibt Universitäten, es gibt Spitäler, es ist ein Land im Wandel, das im Jahrhundert und im Leben vorwärts schreitet. Dasselbe gilt auch für China oder Russland.

Ich möchte mich mit diesen Dingen nicht beschäftigen, mich interessiert was jetzt passiert. Michfreut es, dass wir beiden jetzt in dieses kleine Kästchen sprechen, mich freut es, dass es Mobiltelefone gibt, mit denen wir mit Menschen in der ganzen Welt verbunden sind, dass ich einen iPod habe, wo ich den ganzen Bach, Beethoven, Mozart und Mahler draufhabe. Das ist das Leben. Man hat mir jetzt einen Herzschrittmacher eingesetzt. Vor 30 Jahren gab es das nicht, da wäre ich wahrscheinlich schon tot. Darum darf man sich nicht zu viel mit der Vergangenheit beschäftigen, nichts ist langweiliger als das. Außerdem wird man dadurch alt.

Es ist gleichzeitig ein Film, wo sie sehr mutig sind, wo sie von Ihren Gefühlen sprechen. Und man hat den Eindruck, dass sie ehrlich sind. Sie entblößen sich da förmlich.
Ich weiß, dass ich mich entblöße, dabei bin ich sehr schamhaft, also das ist schon ein Ding! Ich entblöße mich, noch dazu vor Menschen, die bekleidet sind - wenn sie doch wenigsten alle auch nackt wären! Aber nein, sie sind angezogen und ich stehe nackt da! Aber es geht nicht anders. Als Pierre Thoretton mir angeboten hat, diesen Film zu machen, habe ich kurz gezögert. Aber dann habe ich ja gesagt, denn er ist ein enger Freund, bei dem ich mich sehr frei fühle, dem ich vertraue, mit dem ich seit Jahren täglich Gespräche führe.

Die einzige Bedingung, die ich gestellt habe, war, dass ich ihm gesagt habe: Pierre, ich werde nur zu dir sprechen, ich will keinen Interviewer, der mir Fragen stellt, ich spreche mit dir, wie in einem Kaffeehaus. Ab dem Moment hab ich mich um nichts mehr gekümmert, weder um die Kamera noch um das Team - am Set gibt es ja immer eine Menge Leute - ich habe das alles nicht beachtet. Ich habe zu ihm gesprochen, und es war sehr leicht.

In dem Film sieht man viele Zeitdokumente. Ich nehme an, dass viele aus ihren persönlichen Archiven kommen?
Ja viele, ich habe da nicht gezögert. Ich habe da Dokumente hergegeben, aus meinen Archiven, aber auch aus der Pierre-Bergé-Yves-Saint-Laurent-Stiftung. Pierre Thoretton hat da eine unglaubliche Arbeit geleistet: Es gibt ja in Frankreich die Archive der INA (Französisches Institut für audiovisuelle Medien, Anm.), es gibt Rundfunkarchive, das Fernsehen hat welche. Das was wir hier machen, dieses Interview, das wird ja auch eines Tages archiviert sein. Man findet alles wieder, alles. Das ist seine Leistung.

Aber das alles, auch viel Privates, jetzt öffentlich zu sehen - macht ihnen das nicht Angst?
Mir macht nichts Angst. Ich bin gegen Falschheit. Ich habe meine Ansichten nie versteckt, weder meine Meinung, noch mein Leben oder meine Sexualität: Nichts habe ich je versteckt. Und ich werde sicher nicht jetzt, in meinem Alter, damit anfangen. Sicher nicht!

Am Ende des Films, nicht die Schlussszene, wo man sie an einem stürmischen Meer sieht, und sie sich dann zur Kamera umdrehen - aber davor geht es um die Versteigerung ihrer gemeinsamen Kunstsammlung. War diese Versteigerung notwendig, um einen Schlussstrich unter ihre Beziehung zu ziehen?
Ja, aber es gab auch einen ganz einfachen Grund: Yves Saint Laurent hatte einen Teil der Sammlung seiner Stiftung vermacht. Und die Stiftung musste verkaufen, denn sie hatte kein Geld. Jedes Jahr gaben Yves Saint Laurent und ich der Stiftung Geld. Heute ist die Stiftung reich. Und nach meinem Tod wird sie sehr reich sein, denn ich vermache ihr den Rest meiner Sammlung. Aber was noch wichtiger ist: Ich habe diese Sammlung 50 Jahre lang mit Saint Laurent aufgebaut. Er ist nicht mehr da, und so bedeutet sie mir nichts mehr. Und wenn ich vorhin gesagt habe, dass man keine Nostalgie haben sollte, dann gilt das auch für Kunstwerke. Die sind bei ihrem Besitzer im Transit, sie gehören einem nicht. Sie gehören anderen. Und sie haben die Wahl: Sie können sie einem Museum vermachen, sie können ein Museum machen, sie können verkaufen. Ich habe mich für den Verkauf entschieden.

Gleichzeitig möchten Sie schon wissen, wo diese Objekte hinkommen, man sieht es im Film, wie Sie die Versteigerung genau verfolgen. Sie sagen auch im Film, dass die Objekte jetzt ein neues Leben bekommen, aber gleichgültig ist es Ihnen nicht.
Nein, es ist mir nicht egal, manchmal kann ich vielleicht auch nicht zufrieden sein, wo sie hingekommen sind. Das kann passieren. Das Bild von Goya, z.B. das habe ich einfach dem Louvre geschenkt. Das Bild war auf einer Staffelei im Salon unserer Wohnung Rue de Babylone. Es war nur für eine begrenzte Zeit da, und eines Tages ist es an einer Wand des Louvre gelandet. So muss es sein!