Erdogan vor Bestätigung
Heftiger Parlamentswahlkampf
Die Türkei wählt Sonntag in einer Woche ein neues Parlament. Laut Umfragen wird die islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, AKP, ein drittes Mal in Folge die absolute Mehrheit der Parlamentssitze erringen. Den Wahlkampf dominieren persönliche Untergriffe und nationalistische Parolen.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 03.06.2011
Wahlkampf hinterlässt Wunden
Die AKP ist nach wie vor so etwas wie eine One-Man-Show. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan überstrahlt alles, er ist ein Machtmensch und sagt, wo es lang geht. Mit seinen politischen Gegnern geht er nicht gerade glimpflich um. Der Wahlkampf war geprägt von einem Sexvideo-Skandal und vom Duell zwischen Erdogan und dem Chef der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, sagt der türkische Politologe Yüksel Taskin: "Zu Beginn des Wahlkampfs sprachen die Parteien noch über Programme, das haben sie aber schnell wieder aufgegeben, dann ging es nur noch um persönliche Untergriffe und schmutzige Politik. Hauptthema war ein Sexskandal, in den führende Mitglieder der nationalistischen MHP verwickelt waren. Die AKP setzt auf die nationalistische Karte, um Stimmen aus dem nationalistischen Lager zu bekommen. Nach der Wahl, wenn es darum gehen wird, eine neue Verfassung zu erstellen, wird es schwer sein, diese Spannungen wieder einzufangen."
Kurdenfrage als Demokratietest
Die neue Verfassung soll demokratischer sein als die jetzige, europäischen Standards entsprechen und den Minderheiten, allen voran den Kurden mehr Rechte einräumen. Die Feindseligkeiten zwischen Türken und Kurden sind im Wahlkampf aber wieder enorm gestiegen, es gab auch blutige Gefechte zwischen Armee und PKK. Die Situation der Kurden hat sich zwar unter Ministerpräsident Erdogan etwas gebessert - einige kulturelle Rechte wurden ihnen erstmals zugestanden. Doch der große Durchbruch blieb aus - er wäre aber dringend nötig, sagt Yüksel Taskin von der Marmara-Universität Istanbul: "Die kurdische Frage wird der Lackmustest für die Demokratisierung des Landes sein. Die Kurden akzeptieren ihre Opferrolle nicht mehr, sie sind gut organisiert, sichtbar und sehr selbstbewusst. Die AKP ist derzeit zu unentschlossen für radikale Maßnahmen wie echte Reformen oder eine Autonomie. Sie ist aber derzeit die einzige Kraft, die das machen kann - wenn sie davor zurückschreckt, wäre auch eine blutige Abspaltung der kurdischen Regionen möglich."
Islamischer - zum Teil
In den Kurdengebieten können die Politiker der kurdischen BDP bei den Wahlen auf Zugewinne hoffen. Dennoch - landesweit wird die islamisch-konservative AKP unangefochten an der Spitze bleiben. Ihre Kritiker - vor allem jene aus dem kemalistischen Lager - werfen der AKP vor, eine geheime Agenda zu betreiben - die Islamisierung der Türkei. Doch ist die Türkei in den vergangenen neun Jahren, die die AKP bereits regiert, islamischer geworden? Teilweise, sagt Cengiz Günay vom Institut für internationale Politik (oiip) in Wien. Grundsätzlich sei die AKP eine pragmatische Partei, in der die Wirtschaft Vorrang habe. Doch hätten ihre Vertreter vor allem auf der lokalen Parteiebene konservative Wertvorstellungen und würden entsprechende Politik betrieben, etwa wie kulturelle Aktivitäten gefördert werden, wie Parkanlagen gestaltet sind oder Alkohollizenzen vergeben werden. Das islamische Kopftuch ist unter der AKP salonfähiger und auch in den türkischen Metropolen sichtbarer geworden. Und die AKP-Anhängerschaft - oft religiöse Menschen aus Anatolien - besetzt immer mehr wichtige Posten in Bürokratie und Politik. Daran wird sich auch nach den Wahlen am 12. Juni wohl nichts ändern.