Im heiligen Tal des Libanon

Besuch beim Eremiten

Rund vier Millionen Menschen leben im Libanon, etwa halb so viele wie in Österreich. Die Fläche des Landes am Mittelmeer ist allerdings viel kleiner, etwa so groß wie jene Nordtirols. Auch was die Berge betrifft, kann sich der Libanon mit dem Alpenland messen. Über 3.000 Meter hoch ragen die Gipfel des Libanongebirges in die Höhe. Auf einem dieser Berge lebt ein Eremit.

Es ist der letzte Tag meines Besuches in Chbat, der kleinen Stadt am Ende des Wadi Qadisha, des "heiligen Tales" im Libanongebirge. Alles ist zum Aufbruch bereit, schließlich sind am späten Nachmittag noch zwei Interviews in Beirut geplant.

Beim Frühstück äußert Dahlia, meine Fremdenführerin und Fahrerin, den Wunsch, sie wolle am Rückweg, beim Ort Hawka, noch zur Einsiedelei des dort in den Felsen lebenden Eremiten hinabsteigen. Demnächst stehe ihre Vermählung an und da wolle sie noch einen professionellen Rat einholen, man weiß ja nie. Immerhin hat sie von dem alten Mann, der seit vielen Jahren alleine unten in der Schlucht lebt, schon so viele wunderbare Dinge gehört. Natürlich kann ich ihr den Wunsch nicht abschlagen und insgeheim freue ich mich auch schon auf eine Wanderung in dieser wunderschönen Umgebung, in der gerade alles zu blühen beginnt.

Steiniger Weg nach unten

Oberhalb der eindrucksvollen Schlucht schlängelt sich die Straße durch eine sanfte Gebirgslandschaft. Über die Jahrhunderte haben die Menschen hier Terrassen angelegt, auf denen Schafe und Ziegen weiden und Obst angebaut wird. Der Abbruch zur Schlucht erfolgt bei Hawka abrupt. Beinahe senkrecht geht es an der Kante mehrere hundert Meter nach unten. "Hier geht's los", sagt Dahlia voll Tatendrang.

Ob sie schon einmal hier war, frage ich sie skeptisch, die sich derweil beschwingt, in hautengen schwarzen Jeans, im rosa-weiß-schwarz gestreiften Wollpulli und auf Stöckelschuhen auf den steinigen Weg hinunter macht. "Nein." Ob sie gerne wandert? "Ich hasse wandern". Ob sie etwas zu trinken dabei hat? "Wir sind in einer Stunde wieder da, Matthias." Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. Dafür kreisen Greifvögel über uns, ohne Flügelschlag die Thermik über den Felsen nutzend.

Gefühlte 300 Stufen

Je steiler der Abgrund, desto besser wird der Weg. Erstaunlich. Teilweise sogar eine betonierte Treppe. Irgendjemand hat sich dankenswerterweise die Arbeit gemacht, die Stufen in der Einöde anzulegen. "Hier sind wir richtig", rufe ich zu Dahlia zurück, die etwas hinter mich zurückgefallen ist und eine immergleiche Melodie summt. Von oben schaut es elegant aus. wie sich das graue gestufte Band zwischen den Felsen hinabwindet, an besonders steilen Stellen begleitet von einem hölzernen Handlauf.

Nach gefühlten 300 Stufen erreichen wir ein kleines Plateau. Eine Wiese, ein Baum, ein hölzernes Kreuz, links geht die Felswand steil hinauf, rechts ebenso steil hinunter. "Das müssen wir alles wieder hinauf", sage ich vorsichtig Richtung Dahlia. Ob sie vielleicht doch umkehren möchte? "Wenn ich mir etwas vornehme, dann ziehe ich das auch durch", sagt die 25-Jährige leicht schnippisch. Aber ich könne ja hier auf sie warten. Wir schauen hinunter und erkennen, weit entfernt - einen Menschen, der uns entgegen kommt. "Der Einsiedler".

Einsiedelei mit Kirche

Wir gehen weiter. Viele, viele Stufen. Von dem Mann, der uns doch längst begegnet sein müsste, fehlt jede Spur. Dann plötzlich eine Abzweigung, und... ein Schild, leider nur arabisch. "Hier geht es lang" freut sich Dahlia, und nimmt den rechten Weg. Sie geht jetzt voran, vorbei an einem Zaun und durch ein Tor. Jetzt wird sie schneller. Hinter einer Biegung taucht - einige 100 Meter entfernt - dann unser Ziel auf, die Einsiedelei. Wunderschön, wie sich die kleinen, ockerfarbenen Häuser unter einem Felsvorsprung verstecken, sogar eine kleine Kirche ist zu erkennen, ausgestattet mit Türmchen und Glocke. Ich mache ein Foto von dem Ensemble.

Dahlia ist schon weit vorne. Ich eile ihr nach, wundere mich über den eingezäunten Garten, eine Oase mitten in der menschenleeren Schlucht. Das Mauerwerk der Einsiedelei ist kaum von seiner felsigen Umgebung unterscheidbar. Sie besteht ja auch aus der Umgebung, wurde mehr oder weniger aus dieser herausgehauen und dann neu angeordnet. Dahlia wartet auf mich, sie ist entzückt.

Beten, studieren, Gartenarbeit

Vor einer Tür hält sie kurz inne und klopft dann. Und, woran ich nie gedacht hätte, die Türe öffnet sich und ein Mann mit schwarzer Mönchskutte und langem, grauen Backenbart steht vor uns. Er sieht uns, blickt uns entgeistert an und schließt die Türe wieder. Kein Wort. Dahlia schaut mich an... und klopft erneut. Ich hauche ihr noch ein "no" entgegen, aber zu spät. Die Türe öffnet sich erneut. Der Eremit tritt zu uns heraus. Dahlia faltet die Hände, wie zum Gebet, und erklärt, wie glücklich sie sei, ihn zu treffen. Die Mundwinkel des Mannes ziehen sich nach oben. Er lächelt. Und, er spricht.

Er habe geglaubt, es klopfe der Mann, der ihm seine wöchentliche Essensration vom Dorf herunterbringt. Der sei gerade bei ihm gewesen und er dachte, der junge Mann sei umgekehrt, weil er etwas vergessen habe. Niemals sonst öffnet er die Türe, wenn jemand klopft, was ohnehin nur selten vorkommt. Wir hätten wirklich Glück. Er lacht und setzt sich mit uns auf eine kleine Mauer.

Elf Jahre lebt der Mann hier unten, abgeschieden vom Rest der Welt. Einen geregelten Tagesablauf habe er. Das sei wichtig. Beten, studieren, Gartenarbeit. Seine Beete würden nachts immer wieder von wilden Tieren zerstört, erzählt er, drum hat er sich den Zaun gebaut. Aber das nütze kaum etwas.

Unseliger Namensvetter

Nach anfänglichem Abtasten scheint sich der Eremit, am 7. 7. wird er 77 Jahre alt, über seine unangemeldeten Gäste schließlich doch zu freuen. Er erzählt und will noch mehr erfahren. Von Österreich zum Beispiel. Er selbst komme ursprünglich aus Kolumbien, sei aber vor vielen Jahren in den Libanon in ein Kloster gegangen. Dario Escobar ist sein Name, "wie der berühmte Drogenboss", lacht er. Im Kloster hätten sich deswegen sogar einmal amerikanische Geheimdienstleute nach ihm erkundigt, noch dazu, weil er ja auch aus Medellin komme, genauso wie sein berühmter Namensvetter. Bis er stirbt, wolle er in der Einsiedelei bleiben. Er habe hier alles, was er brauche.

Dahlia kommt zu ihrer Frage nach ihrem zukünftigen Mann. Ob ihr Auserwählter auch der Richtige für sie sei, fragt sie ernst. Eifersüchtig sei der, das gefalle ihr gar nicht. Der Eremit bedauert, diese Frage könne er nicht beantworten. Aber das mit der Eifersucht verstehe er. Er könne jedenfalls für die beiden beten. Dahlia scheint mit der Antwort zufrieden zu sein. Abschließend will uns Dario Escoabar noch einen Apfel schenken, doch wir lehnen ab. Ein Glas Wasser nehmen wir aber dankend an.

Der Weg zurück ist kein Spaß. Schnell hat Dahlia die Freude über den Besuch verloren. Nach wenigen Schritten bricht der Stöckel ihres rechten Schuhs. Fluchend nimmt sie die vielen Höhenmeter zurück in Angriff. Völlig erschöpft kommt sie oben an. Ich glaube, es war ihr letzter Besuch in der Einsiedelei von Hawka. "Aber meinen Mann, den schicke ich auch da hinunter!" sagt sie, während wir Richtung Beirut fahren.

Service

Ö1 Studienreise durch den Libanon
Termine: 22. Oktober bis 1. November, 12. bis 22. November 2011
Preis im DZ: EUR 1.999,- (1.899,- für Ö1 Club-Mitglieder)

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