Gedanken für den Tag
von Cornelius Hell. "Die dunklen Krüge der Erinnerung" - Zum 100. Geburtstag der Schriftstellerin Gertrud Fussenegger. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer
11. Mai 2012, 06:56
Als Historikerin und Schriftstellerin hat sich Gertrud Fussenegger intensiv mit der Vergangenheit befasst; im Roman "Das Haus der dunklen Krüge" verarbeitete sie Erinnerungen an ihre böhmische Heimat. Ihr Werk ist vom Katholizismus geprägt - und doch war sie glühende Nationalsozialistin.
Die Erinnerung an Begegnungen mit einer charmanten Persönlichkeit und ihrem oft auch fragwürdigen Werk zwingt zu Reflexionen über das katholische Milieu, die Rolle der Literatur und die Abgründe der Erinnerung.
Thomas Bernhards Attacken auf das katholisch-nationalsozialistische Österreich haben mich seinerzeit aufgeschreckt, und ich registrierte mit Erleichterung jede Form eines katholischen Widerstandes gegen Hitler und sein System. Aber wie erklärt sich der nationalsozialistische Fanatismus einer Gertrud Fussenegger? Bereits im Mai 1933 trat sie als Einundzwanzigjährige der damals illegalen österreichischen NSDAP bei, und im Mai 1934 wurde sie zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie in Innsbruck das Horst-Wessel-Lied gesungen und den Hitlergruß geübt hatte. Und nach dem Anschluss Österreichs huldigte sie Hitler mit einem Hymnus.
Wahrscheinlich müsste man das nicht immer wieder aufzählen, wenn Gertrud Fussenegger einmal klar und unverständlich dazu Stellung genommen hätte. Doch in ihrer Autobiografie kommt das alles nicht vor. Dort findet sich nur die diffuse Aussage, sie sei "ideologiesüchtig" gewesen. Sie war in ihrer Jugend in Pilsen von Jüdinnen und Juden umgeben, doch über die Pogrome verliert sie kein Wort. Und zum Holocaust fallen ihr nur die folgenden Sätze ein: "Mit meinen anderen jüdischen Freunden blieb ich in Kontakt bis sie meinen Augen entschwanden: die einen in den Tod, die andern auf verschlungenen Wegen zurück ins Leben, doch in ein Leben fern von mir, von uns: in Amerika, Frankreich, in der CSSR. Viele waren es nicht, die übrigblieben." Aus dieser Passage spricht kein Entsetzen, nicht einmal Mitgefühl und schon gar nicht die Einsicht, selbst für den Nationalsozialismus begeistert gewesen zu sein, der die Ermordung der Juden zum Ziel hatte.
Allerdings finde ich in Gertrud Fusseneggers Autobiografie Gründe, warum das damalige katholische Milieu gegen den Nationalsozialismus nicht immun, sondern ihm eben teilweise auch zugetan war. Es ist interessant zu lesen, wie unappetitlich für eine Konservative wie Fussenegger die Unterstützung des Ständestaates durch die Katholische Kirche war. Gleichzeitig ist ihre Sicht des Katholizismus bemerkenswert, wenn sie schreibt: "Von allen Ordnungsmächten der Welt kam uns die katholische Kirche als die geeignetste vor, das Chaos zu steuern." Ordnungsträume und Chaosängste waren es schon immer und sind es manchmal bis heute, die konservative Menschen zu begeisterten Katholiken machen. Aber Ordnungsträume können eben auch in den Faschismus führen. Jesus allerdings hat keine neue Ordnung verkündet, sondern sich mit einem Wort des Johannes-Evangeliums als Weg, Wahrheit und Leben bezeichnet.
Service
Gertrud Fussenegger, "Das Haus der dunklen Krüge", Deutscher Taschenbuch Verlag, 2004
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Sendereihe
Playlist
Titel: GFT 120511 Gedanken für den Tag / Cornelius Hell
Länge: 03:49 min