Auf des Messers Schneide

Tunesiens "Jasmin-Revolution"

Am 24. Juli 2011 sollen in Tunesien Wahlen zur "Verfassunggebenden Versammlung" stattfinden - aber niemand weiß derzeit, ob und wann diese Wahlen tatsächlich stattfinden werden. "Kultur aktuell" hat sich unter Künstlern und Kulturschaffenden in Tunesien umgehört - und ist dabei in gewaltsame Auseinandersetzungen geraten.

Kultur aktuell, 06.06.2011

Tränengaswolken wabern durch die Altstadt von Tunis, Steine fliegen, Polizisten knüppeln in die Menge. Mehrmals die Woche stoßen in der City der Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole jugendliche Demonstranten und die Polizei aufeinander. Hintergrund der postrevolutionären Unruhen: Immer wieder flammen Gerüchte auf, wonach die provisorische Regierung Tunesiens die Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung am 24. Juli 2011 verschieben oder gar ganz absagen könnte.

Die jugendlichen Manifestanten bangen um die Errungenschaften ihrer Jasmin-Revolution. Die Jazz-Sängerin Selma Chekili zum Beispiel, sie hat den Aufstand gegen Ben-Ali von Anfang an unterstützt. Jetzt macht sich die junge Jazzerin Sorgen, dass die Islamisten oder kleine terroristische Gruppen die Verunsicherung im Land ausnützen könnten. Letztlich aber glaubt Chekili, dass das tunesische Volk intelligent und solidarisch genug sollte, auch den aktuellen politischen Schwierigkeiten standzuhalten.

Zentrale Themen der Wahl

63 Parteien haben sich in Tunesien in den letzten Wochen und Monaten registrieren lassen. Das Spektrum reicht von der wiederzugelassenen Islamistenpartei "Ennahda" bis zur "Bewegung der Volkseinheit" und der "Kommunistischen Arbeiterpartei".

Der Soziologe Abdesselem Mahmoud skizziert die zentralen Themen der kommenden Wahlauseinandersetzung: "Wir glauben an den demokratischen Wandel. Demokratie - das ist der der beste Weg für Tunesien. Wir müssen die Gleichberechtigung der Frauen verwirklichen, wir müssen die Rechte der Arbeiter garantieren, das Erziehungssystem muss ausgebaut werden, die Trennung von Staat und Religion muss endlich vollzogen werden. Das sind die wichtigsten Ziele. Nur durch die Verwirklichung dieser Ziele kann die Revolution schlussendlich erfolgreich sein."

Gewaltige Herausforderungen

Die tunesische Gesellschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen. Die Jugendarbeitslosigkeit im Land ist exorbitant. Ein Viertel der Menschen leben unter der Armutsgrenze. In den nächsten Jahren braucht die tunesische Regierung, so wird geschätzt, 125 Milliarden Dollar, um die drängendsten Probleme zu lösen.

Fawzi Chekili, einer der prominentesten Musiker des Landes, sieht die Zukunft durchaus nicht in rosigem Licht: "Wir haben Angst, dass wir zu früheren Verhältnissen zurückkehren könnten. Eine Konterrevolution halte ich keineswegs für ausgeschlossen. Und ich habe Angst vor radikalen Kräften, die den revolutionären Protest nicht mit friedlichen Mitteln führen."

Tränengasgranaten und fliegende Mülltonnen

Eine Angst, die durchaus berechtigt ist, wenn man sich die gewaltsamen Szenen vor Augen führt, die sich Abend für Abend in den Straßen von Tunis abspielen. Tränengasgranaten und fliegende Mülltonnen - Tunesiens demokratische Zukunft steht auf Messers Schneide, wie es scheint...

Service

Kulturmontag, Montag, 6. Juni 2011, 22:30 Uhr, ORF 2

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