Sexismus als Wahlkampfthema

Strauss-Kahn erschüttert Politik

Die Affäre um den der versuchten Vergewaltigung beschuldigten Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn hat in Frankreich eine Debatte über Sexismus in der Politik ausbrechen lassen. Und zunehmend beherrscht das Thema den französischen Präsidentschaftswahlkampf.

Morgenjournal, 07.06.2011

Verharmlosungsversuche

Dominique Strauss-Kahns Parteifreunde waren nach seiner Verhaftung in New York derart konsterniert, dass sich manche zu überstürzten Reaktionen hinreißen ließen: Da habe einer doch nur dem Dienstpersonal unter die Röcke gegriffen, sagte der eine. Schließlich sei dabei niemand zu Tode gekommen, der andere, und der dritte betonte nach dem Schock der Bilder von Strauss-Kahn in Handschellen, dieser Mann sei schließlich kein einfacher Angeklagter wie jeder andere auch.

Feministinnen empört

Es brauchte einige Tage, bis sich französische Frauenorganisationen zu Wort meldeten und sich empörten, dass in Frankreich niemand über das mutmaßliche Opfer sprach. Und sie erinnerten daran, dass hierzulande gerade mal zehn Prozent der Vergewaltigungsopfer überhaupt Klage einreichen. Thalia Breton von der Organisation "Osez le Feminisme": "Da sprechen sie jetzt davon, Strauss-Kahn habe nicht das typische Profil eines Vergewaltigers, oder dass das Opfer nicht glaubwürdig sei, weil sie nicht hübsch genug ist. Das sind Stereotypen, die von einer völligen Unkenntnis der sexuellen Gewalt als gesellschaftlichem Phänomen zeugen."

Sexismus in der Politik

Danach lösten sich auch bei Frankreichs Politikerinnen die Zungen. Die Sportministerin gab zu Protokoll, sie überlege sich genau, bei welchem Anlass sie Röcke trage und bei welchem nicht, weibliche Abgeordnete klagten, dass sie sich sogar im Plenarsaal regelmäßig anzügliche Bemerkungen gefallen lassen müssen. Plötzlich wurde die französischen Öffentlichkeit erneut damit konfrontiert, dass Sexismus gerade in der Politik immer noch weit verbreitet ist.

Zwei konservative Abgeordnete lieferten gleich noch den Beweis: "Die Frauen sollten ein wenig Humor haben", so der eine. "Sich ständig beklagen über diese schrecklichen Typen, diese Chauvinisten, die die Frauen beherrschen wollen, damit erreichen sie doch nur das Gegenteil." - "Sie wollen sich zum Opfer machen", so der andere, "das ist derzeit doch die gängigste Methode, um für sich persönlich Werbung zu betreiben."

Staatssekretär muss zurücktreten

Zwei Wochen nach Strauss-Kahns Verhaftung musste Georges Tron, der konservative Staatssekretär für den öffentlichen Dienst, zurücktreten. Zwei Mitarbeiterinnen des Rathauses, in dem der Staatssekretär auch Bürgermeister war, hatten ihn wegen sexuellem Missbrauchs verklagt – ohne die Affäre Strauss-Kahn hätten sie das kaum getan.

"Ex-Minister bei Orgie mit Buben"

Doch damit nicht genug. Luc Ferry, Philosoph und einst Erziehungsminister sagte in einer Fernsehdiskussion: "Es gibt doch diese Episode mit einem ehemaligen Minister, der sich in Marrakesch hat schnappen lassen, bei einer Orgie mit kleinen Jungen. Wahrscheinlich wissen wir hier alle, um wen es sich handelt." Seitdem zirkulieren Ministernamen im Internet, die Justiz hat eine Voruntersuchung eröffnet und Luc Ferry verhört, der jedoch auch da keinen Namen nannte.

Wahlkampf in der Gosse?

In Frankreichs Medienlandschaft scheint ein Damm gebrochen, der bislang diskrete Umgang mit dem Privat- und Sexualleben der Politiker der Vergangenheit anzugehören. Gleichzeitig könnte eine übelriechende Schmutzwelle über Frankreichs Politik hereinbrechen und sich ein Präsidentschaftswahlkampf abzeichnen, der in der Gosse stattfindet.