Nationalrat muss Bestimmungen erweitern
Wählen im Gefängnis
Strafgefangene sind derzeit meist vom Wahlrecht ausgeschlossen, das muss jetzt anders werden, denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat Österreich im Vorjahr dazu verurteilt. Der Nationalrat bereitet nun eine Änderung der Nationalratswahlordnung vor, die das Wahlrecht von Gefangenen menschenrechtskonform gestalten soll.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 08.06.2011
Regelung bisher menschenrechtswidrig
Man mag es mögen oder nicht: Auch Schwerverbrecher sollen in Zukunft wählen können. Denn der Straßburger Gerichtshof schrieb der Republik Österreich im Vorjahr ins Stammbuch: Die bisherige Regelung - kein Wahlrecht für alle mit mindestens einem Jahr Haftstrafe - ist menschenrechtswidrig. Der Ausschluss von Strafgefangenen vom Wahlrecht müsse eine Ausnahme sein, er müsse verhältnismäßig sein, er müsse ausreichend begründet werden. Ein vom noch unter Innenministerin Fekter (ÖVP) eingebrachtes Rechtsmittel nützte nichts - Straßburg blieb dabei, Österreich muss seine Bestimmungen über den Ausschluss vom Wahlrecht ändern.
Neuer Entwurf liegt vor
Jetzt also ein neuer Entwurf, eingebracht von den Parlamentsklubs SPÖ, ÖVP und BZÖ - und damit mit der nötigen Mehrheit ausgestattet. Die neue Regelung lautet: Ausgeschlossen wird erstens, wer zu mehr als fünf Jahren Gefängnis verurteilt ist, oder zweitens - wer sich eines speziell gegen den Staat gerichteten Deliktes schuldig gemacht hat: Zum Beispiel gewaltsame Verfassungsänderung vulgo Hochverrat, Wehrmittelsabotage, Wahlbehinderung, Nazi-Wiederbetätigung, Amtsmissbrauch bei Wahlen und Volksabstimmungen. Hier muss die Strafhöhe auf mindestens ein Jahr lauten.
Einzelfälle zu prüfen
Wer bezüglich einer dieser beiden Fallgruppen - wie gesagt: Entweder schweres Verbrechen, oder Delikt gegen den Staat bestraft wird, hat nicht automatisch das Wahlrecht verloren. Denn das verurteilende Gericht muss noch ausdrücklich darüber entscheiden, unter - wie es im Gesetzesentwurf heißt - Zugrundelegung der Umstände des Einzelfalles. Nicht gerade eine ausführliche Handlungsanleitung für den oder die jeweils entscheidungspflichtigen Richter. Christian Pilnacek von der Strafrechtssektion des Justizministeriums: die Handlungsanleitung kommt vom Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg, das sei die Frage ob mit der Verurteilung auch eine besonders negative Einstellung zu demokratischen Grundwerten verbunden sei. Mit anderen Worten, da werden die Gerichte noch eine Entscheidungslinie finden müssen.
Kein Massenphänomen
Wie viele potenziell Wahlberechtigte da jetzt in den österreichischen Strafanstalten dazukommen, das war heute Vormittag nicht in Erfahrung zu bringen. Christian Pilnacek meint, es werde sicher kein Massenphänomen werden, zwar würden es mehr Gefangene als derzeit werden, aber es sei sicher bewältigbar.
Ein gesamtes Wahlrechtsänderungspaket, eben auch mit Wahlrecht für mehr Gefangene, soll noch im Juni beschlossen werden.