Das Neutra-VDL-Haus in Los Angeles

Raymond Neutra

"Meine schönsten Kindheitserinnerungen sind mit dem Haus verbunden. Wenn es leicht geregnet hat, haben wir die Schiebetür zum Garten geöffnet, um das Plätschern der Wassertropfen zu hören und den Geruch des Sommerregens zu riechen."

Solch atmosphärische Erinnerungen hat der Amerikaner Raymond Neutra an seine Kindheit in der Familienvilla in Los Angeles. Neutra, der als Umweltmediziner in den USA Karriere machte, ist ein Sohn des österreichischen Architekten Richard Neutra, der zu den wichtigsten Vertretern der modernen Architektur gehört.

Wohnen im Labor

Raymond Neutras "Begegnung" mit dem Haus am Silver Lake Wasserreservoir ist tatsächlich eine bleibende. Er lebte hier nach seiner Geburt 1939 zwanzig Jahre lang, war danach oft zu Besuch bei seinen Eltern und kümmert sich nun um die Instandhaltung des Baudenkmals, das heute von einer Universität genutzt wird. Nach den Initialen des Mäzens Van Der Leeuw wurde es "Neutra VDL Research House" genannt.

Richard Neutra hat es als experimentelles Wohnhaus angelegt, ein Versuchsobjekt für die Verbindung von Natur und Wohnraum, von Innen und Außen. "Er war sehr begeistert von Frank Lloyd Wright und der japanischen Architektur, wo die Natur ins Innere des Hauses übergeht. Darin sehe ich, einen Unterschied zu anderen europäischen Architekten dieser Zeit."

Natur im Wohnimmer

In mehreren Bauphasen zwischen 1932 und 1966, als Richard Neutra nach Wien zog, wurde das Haus erweitert, mit Wasserbecken auf dem Dach und Balkongärten auf allen Etagen ausgestattet. Durch Schiebe- und Falttüren konnte die Natur ins Haus geholt werden.

Naturverbundenes Leben in der Stadt war ein Thema, mit dem sich der Architekt Richard Neutra richtungsweisend beschäftigt hatte. Architekten sollten, nach seiner Auffassung, den Menschen ermöglichen, Naturphänomene wie Lichtspiele, Wind und Wetterwechsel auch in gebauter Umgebung zu erfahren. Aufgewachsen war Richard Neutra in einer jüdischen Familie in Wien, in einem Wohnhaus in der Taborstraße Ecke Lessinggasse, unweit des Augartens. "Mein Vater hat immer beklagt, dass ihm in Wien die Bäume gefehlt hatten, und erzählt, wie gerne er in den Augarten spielen ging."

Spurensuche in Europa

Die vergangenen zwei Monate hat Raymond Neutra gemeinsam mit seiner Frau Peggy Bauhaus in Europa verbracht, um den intellektuellen Wurzeln seines Vaters nachzuspüren. Die Villa Tugendhat von Mies van der Rohe in Brno, Adolf Loos‘ Villa Müller in Prag, die Bruno-Taut-Siedlung in Berlin, aber auch die Innsbrucker Skisprung-Schanze von Zaha Hadid gehören zu den Bauwerken, die Raymond Neutra auf seiner Europa-Reise besucht hat.

Zu den Erkenntnissen seiner Recherche-Reise gehört, dass sein Vater in Europa wohl nicht eine Karriere wie in den USA gemacht hätte. 1923 übersiedelten Richard Neutra und seine Frau Dione, eine gebürtige Schweizerin, in die USA, voller Tatendrang und angestachelt von dem Willen, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Fuß zu fassen und die Architektur der Zukunft mit zu erfinden. Seine Eltern, meint Raymond Neutra, seien prototypische Amerikaner gewesen - noch bevor sie Europa verlassen hatten.

Weltoffenes Haus

Im Familienhaus in Los Angeles, erinnert er sich, seien immer Gäste aus aller Welt zu Gast gewesen, Architekten und Wissenschaftler aus Brasilien, Japan, der Türkei oder der Schweiz hätten sich die Klinke in die Hand gegeben. "Meine Eltern", so Neutra, "hatten einen großen internationalen Freundeskreis. Von Architekten und Gleichgesinnten aus anderen Ländern erfuhren sie, was sich andernorts tat.

Dione Neutra überlebte ihren Mann Richard, der 1970 auf einer Vortragsreise in Europa verstorben war, um zwanzig Jahre - und füllte das Haus auch im hohen Alter mit Leben: "Meine Mutter war Sängerin und Cellistin. In unserem Familienhaus hat sie zu Konzerten und Veranstaltungen eingeladen - es waren immer Gäste da."

Medizin im Dienste der Gemeinschaft

Anders als sein Bruder Dion, trat Raymond Neutra beruflich nicht in die Fußstapfen seines Vaters, sondern wurde Mediziner. Das Interesse an der Medizin, und vor allem an ihren gesellschaftspolitischen Aspekten, hatte er aber durchaus seinem Vater, dessen Bibliothek und befreundeten Naturwissenschaftlern zu verdanken. Sein Vater habe ihm vermittelt, dass man in seiner Berufswahl dem Gemeinwohl dienen sollte.

Herausforderungen der Umweltmedizin

Nach drei Jahren in New Mexico, wo Neutra im Reservat der Navajo-Indianer als Arzt gearbeitet hatte, weiteren Arbeitsaufenthalten in Südamerika und Studien in Harvard und Kalifornien, leitete er für das California Department of Health Studien zur Umweltbelastung durch Industrie und Chemie und deren Folgen für die Bevölkerung, vor allem ärmere Schichten.

Unbequeme Fragen zu stellen, ohne sich von einer Seite vereinnahmen zu lassen - das sei die größte Herausforderung bei der Forschungsarbeit gewesen. Der versuchten politischen Einflussnahme auf Forschungsergebnisse und deren Veröffentlichung habe er mit seinem Team Transparenz und die Einbeziehung aller beteiligten Parteien entgegengesetzt, wenn es etwa darum ging, welche gesundheitlichen Auswirkungen eine Chemie-Abfalldeponie auf Anrainer hat.

Erhaltung des Neutra VDL Research House

Seine Karriere in der Umweltmedizin war stark von seinem Vater beeinflusst, daher sieht es Raymond Neutra als seine Verpflichtung, sich für die Erhaltung und Restaurierung des Hauses zu engagieren: "Weil meine Karriere in Umweltmedizin war sehr von meinem Vater beeinflusst, denke ich, dass ich habe eine Pflicht, etwas wieder zu geben. Meine Eltern wollten, dass das Haus ein lebendiger Ort bleibt." Im Rahmen von Führungen kann das außergewöhnliche Haus einmal pro Woche besucht werden.