Radikaler Neubeginn am Bayerischen Staatsschauspiel

Kusej krempelt um

Seit vier Jahren ist es amtlich, wer Dieter Dorn als Intendant in München beerbt. Am Montag stellte der Nachfolger seine erste Spielzeit vor: Martin Kusej präsentierte eine Woche nach seinem 50. Geburtstag seine ambitionierten Pläne für 2011/2012 für Marstall, Residenz- und Cuvilliéstheater.

Und Kusej krempelt um: Kein einziges der Stücke der Vorgänger-Ära wird übernommen, viele altgediente Schauspieler werden verabschiedet. Kusej steht für einen radikalen Neubeginn.

Kultur aktuell, 21.06.2011

Gäste aus Österreich

25 Produktionen, darunter acht Uraufführungen und vier deutschsprachige Erstaufführungen, umfasst der erste Spielplan des neuen Intendanten des Münchner Residenztheaters, Martin Kusej. Unter den mehr als 50 Ensemblemitgliedern befinden sich mit Birgit Minichmayr, Nicholas Ofczarek, Markus Hering, Andrea Wenzl, Tobias Moretti, Norman Hacker, Werner Wölbern, Paul Wolff-Plottegg oder August Zirner auch zahlreiche Österreicher bzw. aus österreichischen Theatern bekannte Darsteller.

Ofczarek werde als Gast zwei Stücke pro Jahr am Residenztheater spielen und zähle deshalb zum Ensemble, sagte Kusej bei der heutigen Spielplanpressekonferenz in München. Das aufgrund von angeblichen Ab-Engagements zuletzt als angespannt kolportierte Verhältnis zum Wiener Burgtheater Matthias Hartmann sei "kollegial und korrekt", seine Ensemble-Politik, Darsteller nach Möglichkeit ausschließlich an sein Haus zu binden, um eine klare Identität zu schaffen, "nicht so dogmatisch gedacht".

"Ich hätte am liebsten, dass der Sommer schon vorbei wäre. Dass man jetzt noch mal Sommerurlaub machen muss, hält uns nur auf", sagte Kusej. Immerhin nehme das "Schlachtschiff" Residenztheater mit dem Probenbeginn für zahlreiche "echte, große Hämmer", mit denen er im Oktober die Spielzeit 2011/12 starten möchte, in diesen Tagen "langsam Fahrt auf". "Mit 25 Produktionen hat sich die Schlagzahl augenfällig erhöht. Wir stechen frohen Mutes in See und schauen, wie weit wir kommen."

Das große Ensemble sei dabei "das Herzstück, der Motor". Entsprechend habe er in den ersten Wochen vor allem personenintensive Stücke angesetzt. In "Eyafjallajökull-Tam-Tam" von Helmut Krausser (Uraufführung am 9. Oktober im Marstall) bekommt jedes Ensemblemitglied eine Rolle. "Nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans sind in einer Abflughalle eine Unmenge von Menschen gestrandet", erzählte Kusej den Plot, "das gibt uns Gelegenheit, alle Mitglieder des Ensembles vorzustellen." Es werde eine Kernbesetzung geben, für jene Darsteller, die auch andere Spielverpflichtungen hätten, würden Videobeiträge zum Einspielen vorbereitet.

Mehr Zeitgenössisches

Stärkstes Signal einer Hinwendung zum zeitgenössischen Theater: Im barocken Cuvillestheater soll künftig ausschließlich moderne Dramatik gespielt werden. Hier wird mit der Uraufführung von Albert Ostermaiers "Halali" am 7. Oktober gestartet. Hier wird es auch eine von der jungen Regisseurin Anne Lenk inszenierte Kroetz-Uraufführung ("Du hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind.") geben, sowie die Uraufführung von Kathrin Rögglas "Kinderkriegen. Ein Singspiel". Tina Lanik inszeniert, die Musik stammt von der österreichischen Sängerin Gustav.

Im Marstall, bei dem grobe bauliche Mängel behoben werden müssen, werden vor allem Arbeiten wie ein vierwöchiges Non-Stop-Projekt von Showcase Beat Le Mot zu Kafkas "Das Schloss" und Themenblöcke wie ein Alexander Kluge-Block und ein Fassbinder-Block samt ausländischen Gastspielen angesiedelt. Im Residenztheater, das Kusej u.a. durch einen Gastronomiebetrieb auch für Nicht-Theaterbesucher öffnen möchte, ist ein Mischprogramm angekündigt, in dem auch das klassische Repertoire eines bürgerlichen Stadttheaters nicht zu kurz kommt. Als Eröffnungspremiere (6. Oktober) inszeniert Kusej selbst Schnitzlers "Das weite Land", zur Zeit des Oktoberfests wagt sich Frank Castorf mit "Kasimir und Karoline" an seinen ersten Horvath (mit Nicholas Ofczarek und Birgit Minichmayr). Gegen Saisonende warten "Der Kirschgarten" in einer Inszenierung von Calixto Bieito und ein von Michael Thalheimer inszenierter "Sommernachtstraum".

Er wolle das Residenztheater in München und auch international präsenter machen, versicherte Kusej. "Dafür hau' ich mich auch stark in die Bresche. Ich möchte klar eine öffentliche Person sein in dieser Stadt." Ein Vorhaben habe er jedoch nicht verwirklichen können: Er hätte sich ursprünglich fest vorgenommen, "die alte Intendantenkrankheit, zu viel zu machen", zu vermeiden: "Das habe ich nicht geschafft."

Text: APA, Red., Audio: ORF