Von der Zunft zur Industrie
Kulturgeschichte des Handwerks
Als sich ab dem 12. Jahrhundert wieder Städte bildeten, spielten die Handwerker eine wichtige Rolle auf deren Märkten und bei der Herausbildung der Geldwirtschaft. Um ihre Position beim Kampf um die Vorherrschaft in den Städten zu stärken, organisierten sich die Handwerker in Zünften.
8. April 2017, 21:58
Viele Städte sind über Jahrhunderte hinweg von Zünften regiert worden. Die Zünfte haben die Ausbildung im Handwerk organisiert, entlang der Stufenleiter Lehrling - Geselle - Meister. Zur Ausbildung der Gesellen gehörte auch das Einholen von Erfahrungen anderswo in Form einer mehrjährigen Wanderschaft.
"Damit er in der Kunst, weilen er schon ohne das einen guoten Anfang hatt, besser abgericht wird", sei er unterwegs, heißt es 1693 in einem Begleitschreiben für einen Goldschmied. Der Umfang der "Walz", wie die Gesellenwanderung genannt wurde, war enorm: oft waren neunzig Prozent der in einer Stadt arbeitenden Gesellen nicht dort geboren.
In Wien mussten die Zunftkommissäre in den 1720er Jahren die "wallische Sprache", also Italienisch beherrschen, um bei den Zunftversammlungen überhaupt etwas zu verstehen. Dass die Ausländer den Einheimischen die Arbeit wegnehmen würden, das wurde auch schon damals befürchtet. 1624 richteten die "teutschen" Vorsteher der Wiener Maurerzunft einen Appell an den Kaiser, er möge doch die Zuwanderung einschränken, weil
"Die Welschen zusammenhalten, alle Arbeit an sich ziehen und denen Teutschen das liebe Brot vor dem Maul abschneiden würden."
Transfer von Techniken, Erfahrungen und Ideen
Das Herumziehen ermöglichte den Transfer von Techniken und Erfahrungen, aber auch von Ideen. Und die waren der Obrigkeit nicht immer angenehm. Der Wiener Stadtrat befürchtete 1771, dass ein Geselle von seiner Wanderung "vielleicht nur verderbte Sitten, Stolz und eine zweifelhafte Religion zurückbringt."
Vielleicht gar die protestantische! Unter den Fahrenden bildeten sich geheime Rituale, Gesten und Zeichen aus, denn die wandernden Gesellen waren allerlei Gefahren und Bedrohungen ausgesetzt: einsame Wirtshäuser, dunkle Wälder, Betrüger und Räuber. Doch die Gesellenwanderung war auch Abenteuer, und das, was man heute so schön "Empowerment" nennt.
"Ich bin gesund und munter und stolz ein deutscher Uhrmacher zu sein in einer Stadt wo es so viele tausende Fremde hat. Zudem spreche ich mit Holländern, Norwegern, auch mit Engländern. Ich bin der einzige Uhrmacher, der sich mit allen diesen zu verstehen machen kann."
Das schreibt 1862 ein Vorarlberger vom französischen Bordeaux nach Hause. Das war schon zu einer Zeit, in der das Handwerk von der Industrie bedroht wurde und manche ursprünglich handwerkliche Zweige wie die Textilherstellung nunmehr mit Maschinen durchgeführt wurde. Von den Nationalromantikern wurde das untergehende Handwerk idealisiert, etwa in Richard Wagners Oper "Die Meistersinger".
Die Angst vor der Industrialisierung
Wenn Hans Sachs in den "Meistersingern" die heil'ge deutsche Kunst gegen den welschen Tand stellt, dann verbindet sich romantische Handwerksverklärung mit dem Deutschnationalismus des späten 19. Jahrhundert. So hätten sie gerne die Gesellschaft gehabt: überschaubar, mit Butzenscheiben, abgegrenzt nach außen. Der Industrialisierung wird das Mittelalter mit seinen Zünften als positives Modell gegenübergestellt.
Die Angst der Handwerksromantiker war aber zunächst unbegründet, denn, so sagt der Sozialhistoriker Josef Ehmer, zumindest bis ins frühe 20. Jahrhundert war die Produktion in unseren Breiten überwiegend kleingewerblich, also handwerklich organisiert. Viele, die als "Arbeiter" galten, waren im Kleingewerbe beschäftigt. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts überflügelte die Zahl der in der Industrie Beschäftigten die der Handwerker.