Sie können zum Mond fliegen, aber nicht schreiben

Ich war Space Shuttle Commander

Da saß ich nun, nein, eher bin ich wohl gelegen, an einem feucht-heißen Frühsommertag des Jahres 1988, mit breiten Sicherheitsgurten festgezurrt an meinem Sitz im Cockpit eines Spaceshuttle-Simulators und bebte, bebte und zitterte, so wie alles um mich herum. Durchgeschüttelt und von den ohrenbetäubenden Lärm fast taub, versuchte ich mich zu erinnern, was als Nächstes zu tun war.

Der Anblick war zünftig: ein himmelblauer Overall mit dem NASA-Schriftzug rechts des Zippverschlusses, das NASA-Emblem links davon. Darüber, auf der linken Brust ein schwarzer Lederstreifen mit meinem Namen in Goldprägung, am linken Oberarm das amerikanische Sternenbanner - das war einige Tage lang gewissermaßen meine Arbeitskleidung. Der Ort: Huntsville, Alabama im tiefen amerikanischen Süden, genauer gesagt das Spacecamp in Huntsville, wo Kinder und zu wenigen Terminen im Jahr auch Erwachsende - gegen einen nicht zu knappen Dollar-Betrag - in einem ehemaligen Trainingslager der echten NASA-Astronauten Raumfahrt spielen können.

Einige Wochen zuvor war ich schon einmal in Huntsville, Alabama, gewesen, um dort Interviews mit Raketen-Konstrukteuren zu führen. Die hatten Verbesserungen an den berühmt-berüchtigten O-Rings durchgeführt, jenen Dichtungsringen in den Feststoffraketen, die beim Start der Raumfähre Challenger im Jänner 1986 zerbröselt waren und zur Explosion der Raumfähre geführt hatten. Bei dieser Gelegenheit hatte ich vom Spacecamp erfahren und mich sofort für den nächsten Erwachsenenkurs angemeldet.

Zusammen mit einer Gruppe von etwa 20 Personen zwischen 25 und 45 Jahren, überwiegend männlich, außer mir, alle Amerikaner, rückte ich also im Spacecamp ein und büffelte einen Tag lang Theorie: Astronomie, Geografie, Meteriologie, wer, wo wann, wofür zuständig ist bei einem bemannten Raumflug, unter welchen Wetterbedingungen man in Cape Canaveral starten kann und unter welchen das Shuttle besser am Boden bleibt, Hitzeschilder, Gleitflüge und so weiter und so fort.

Am Ende des Tages gab's noch ein ziemlich ekelhaft schmeckendes Weltraum-Menü, dehydriertes Trockenfutter aus Aluminium-Plastiksackerln, das weder durch die Zugabe von Wasser noch durch Ketchup verbesserungsfähig war. Dann zog ich mich unter Mitnahme des Handbuchs für Astronauten ins Hotel zurück. Ich hätte allerdings auch mit vier anderen Spacecamp-Kollegen - ganz wie im echten Shuttle - die Nacht in engen Kojen verbringen können. Doch am nächsten Tag sollte mittels eines Tests herausgefunden werden, wer am besten für welche Position im simulierten Shuttle-Flug geeignet ist und so wollten ich lieber allein sein.

Der Multiple-Choice-Test brachte dann - nicht nur für mich - die große Überraschung: Der Computer hatte errechnet, dass ich die meisten richtigen Antworten angekreuzt hatte, und so wurde ich zum Shuttle-Kommandanten ernannt. Bei meinen Space-Camp-Kollegen kam das gar nicht gut an. Bis heute weiß ich nicht, was in ihren Augen schlimmer war: dass ich eine Frau bin, oder dass ich nicht Amerikanerin bin.

Jedenfalls wollte ich trotz mehrerer Bestechungsversuche die begehrteste Position im Flugsimulator nicht aufgeben und so bestieg ich das Shuttle-Modell zusammen mit einem Piloten und "meiner Raummannschaft". Die Reise konnte beginnen. Doch kaum hatte ich über Kopfhörer, den Countdown gehört, die richtigen Knöpfe für den Start gefunden und auch gedrückt, begannen die Schwierigkeiten. Der Computer werde mich mit Problemen bewerfen, hatte man mir gesagt, aber nicht, dass die alle gleichzeitig auftreten würden. Es lag an mir, sie an die Bodenstation zu melden, im Handbuch nachzuschauen, wer für die Problemlösung zuständig sein könnte, Entscheidungen zu fällen und Anordnungen zu geben.

Während ich noch damit beschäftigt war, jenen Knopf - und es gab deren Hunderte, die in allen Farben blinkten und leuchteten - zu finden, mit denen die Feststoffraketen manuell weggesprengt werden können, die sich blöderweise nicht automatisch - wie im Astronauten-Handbuch vorgesehen - abgelöst hatten, waren wir schon an jenem defekten Satelliten vorbeigeflogen, den wir eigentlich hätten bergen sollen. Damit hatte ich schon beim ersten wichtigen Ziel der Mission versagt. Das Andocken an die Raumstation wäre schon beim ersten Mal gelungen, hätte mein Pilot begriffen, dass das eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre und wären die Durchsagen des Flugdirektors in der Bodenmannschaft über die Kopfhörer verständlicher gewesen. Beim dritten Versuch klappte es also, doch von Entspannung keine Spur, denn mittlerweile hatte der Computer errechnet, dass der Sauerstoff nicht mehr allzu lange reichen würde. Die Leute in der Raumstation - sie hatten zugegebenermaßen ziemlich öde Experimente zur Erzeugung künstlicher Kristalle zu bewältigen gehabt - ließen mich voll in Stich. Anstatt sich von mir zu Mutter Erde zurückbringen zu lassen, waren sie nämlich Mittagessen gegangen. Also bin ich ohne sie zurückgeflogen - was in der Endabrechnung des Computers jede Menge Schlechtpunkte bedeutete.

Sei's drum, auch beim Rückflug gab's Probleme und Stress pur. Als ich schon auf eine vorgesehene Landung im Kennedy Space Center in Florida eingestellt war, wurde ich nach White Sands in New Mexico umgeleitet. Dann gab's - ganz wie bei den echten Raumflügen, jene beängstigenden Minuten, in denen keinerlei Kommunikation mit der Bodenmannschaft möglich ist, und dann tauchte im Fenster des Cockpits auch schon die Landebahn auf. Wir setzten einmal mehr unter heftigem Beben und Geschaukel auf einer fast richtigen Position auf und konnten wieder festen Boden - nämlich den der großen Trainingshalle des Spacecamps - betreten.

Der simulierte Flug hatte wenig mehr als eine Stunde gedauert, eine Stunde, die sich wie eine Woche anfühlte. Der Computer warf dann kleinlichst jeden Fehler aus, der mir passiert war, und beim zweiten simulierten Raumflug am nächsten Tag bekam ich eine Position in der Bodenmannschaft, eine - zugegebenermaßen - sehr kleine, sehr unbedeutende Position.