Gemeinsames Protestschreiben an Brüssel
Baltische Staaten gegen Österreich
Die Außenminister der baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland haben sich in der Causa des von Litauen als Kriegsverbrecher bezeichneten Ex-KGB-Offiziers Michail Golowatow an Brüssel gewandt. In einem gemeinsamen Schreiben protestieren sie gegen das Vorgehen der österreichischen Justiz.
8. April 2017, 21:58
Abendjournal, 19.07.2011
"Irritation" über rasche Freilassung
Es ist ein kurzer Brief, in dem sich die Außenminister der 3 baltischen Staaten an EU-Justizkommissarin Viviane Reding wenden: "Wir verstehen die Prinzipien der unabhängigen Justiz. Uns irritiert aber, mit welcher Schnelligkeit in Österreich die Freilassung von Michail Golowatow entschieden wurde." Der Europäische Haftbefehl sei ein Instrument des gegenseitigen Vertrauens zwischen den EU-Staaten und solle in der Praxis effektiv umgesetzt werden, vor allem wenn es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehe, heißt es weiter in dem Brief.
"Konstruktives Treffen"
Österreichs Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) ist heute beim informellen EU-Justizministertreffen im polnischen Sopot mit ihrem litauischen Kollegen zu Gesprächen zusammengekommen. Es sei ein sehr konstruktives Treffen gewesen. Geplant sei dafür nun die Einrichtung einer bilateralen Arbeitsgruppe, so Justizministerin Karl.
Aufruf zur Kooperation
EU-Justizkommissarin Viviane Reding reagiert rasch und macht klar, dass dies in erster Linie eine Angelegenheit zwischen Litauen und Österreich sei. Rein rechtlich habe Österreich korrekt gehandelt, so Reding, fügt aber hinzu: "Das eine ist eine rechtliche Frage, das andere eine politische. Und es ist die Pflicht eines jeden EU-Landes, ernsthaft mit seinen Partnern zusammenzuarbeiten." Sie begrüße daher explizit die aktuellen bilateralen Versuche Litauens und Österreichs, die Wogen wieder zu glätten.
"Kein Sommerthema" für Litauen
Das Thema ist für die Litauer - und alle Balten -sehr sensibel. Am 13. Jänner 1991 versuchten Tausende Litauer, die Stürmung des Fernsehzentrums von Vilnius durch die sowjetische Spezialeinheit Alpha mit einer Menschenschlange zu verhindern. 14 Menschen wurden damals von dieser Spezialeinheit getötet. Das Massaker ist als "Blutnacht von Vilnius" in die Geschichte eingegangen.
Lolita Varanaviciene war damals dabei. "Die Freilassung des Verantwortlichen für den Blutsonntag von Vilnius - das ist sicherlich keine Sommerthema für uns. Das betrifft in Litauen einfach alle", sagt Varanaviciene.
Mittagsjournal, 19.7.2011
Karin Koller im Gespräch mit Zeitzeugen
Aufgebracht und beunruhigt
Einer, der die Ereignisse des "Blutsonntags von Vilnius" ebenfalls hautnah erlebte, ist Ceslovas Burba. Der Journalist war damals im Fernsehzentrum, als dieses von der Spezialeinheit Alpha erstürmt wurde: "Ich habe damals erlebt, wie diese Soldaten eindrangen, zunächst den Strom abschalteten, uns im Finsteren mit Schlägen und Drohungen aus dem Gebäude hinaustrieben. Vielen meiner Kollegen wurden die Beine gebrochen. Wir haben gedacht unsere letzte Stunde schlägt."
Er ist aufgebracht und beunruhigt angesichts der Freilassung des Ex-KGB-Offiziers, der die Einheit Alpha damals in Vilnius dirigierte.
Chance auf Auslieferung nun "gleich null"
"Die meisten hier glauben, dass das große Russland, das ja halb Europa mit Gas beliefert, eben nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Instrumente besitzt, um seine Interessen durchzusetzen. Und dass Russland eine Art Druck auf Österreich ausgeübt hat, damit ein russischer Staatsbürger freigelassen wird. Das beunruhigt uns hier. Die Chance, dass Russland Michail Golowatow an Litauen ausliefert, ist nun gleich null. Davon sind die Leute in Litauen hier überzeugt", sagt Burba.
Fall Golowatow: Markstein für Litauen
Der Fall Golowatow führt zurück in die letzten Tage der Sowjetunion. Für Litauen ein Markstein auf dem Weg zur Unabhängigkeit, für Russland ein blinder Fleck, der bis heute nicht aufgearbeitet wurde. Und unter Ministerpräsident Wladimir Putin sind die Chancen auch minimal, dass man sich mit den Verbrechen des KGB objektiv auseinandersetzt.
Mittagsjournal, 19.7.2011
Georg Dox
Gewalteinsatz unter Gorbatschow
Am 11. März 1990 erklärte der Oberste Rat Litauens nach freien Wahlen die Wiederherstellung der Unabhängigkeit.
Die sowjetische Führung mit Michail Gorbatschow an der Spitze reagierte mit einer Wirtschaftsblockade. 3,7 Millionen Litauer froren ohne Gas- und Ölzufuhr, Lebensmittel wurden reglementiert. Doch die Unabhängigkeit als Ziel gab niemand auf. Als der Golfkrieg 1991 die gegen den irakischen Machthaber Saddam Hussein vorgehende westliche Welt beschäftigte, versuchten Moskauer Hardliner, mit dem Gewalteinsatz in Vilnius den Widerstand zu brechen.
Das Ende der Sowjetunion
Fallschirmspringer und Panzer rollten in Richtung Vilnius, um sich des Fernsehturms zu bemächtigen. Fernsehbilder deutscher Korrespondenten erschütterten die Weltöffentlichkeit.
Die Waffengewalt gegen Zivilisten mobilisierte westliche Solidarität, einen Monat später erkannte Island als erster Staat die litauische Unabhängigkeit an. Andere Länder folgten bald. Im August erklärten Lettland und Estland ihre Unabhängigkeit, im Dezember 1991 hörte die Sowjetunion zu bestehen auf.
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