Neuer Roman von Philippe Djian

Die Leichtfertigen

Philippe Djian ist ein ungewöhnlicher Autor, ein Autor, für den Ideen und Geschichten zweitrangig sind. Umso überraschender ist es, dass trotzdem immer wieder eine Geschichte herauskommt, so auch in Djians bislang letztem Roman mit dem Titel "Die Leichtfertigen".

"Ich lasse in meiner Arbeit viel Raum für das Unbewusste. Es gibt keine Ausgangsidee. Später stellt sich heraus, dass man über den Schmerz sprechen kann, über die Herkunft und all das, aber ich beginne nicht mit einer solchen Idee. Ich habe gar keine Ideen, ich versuche, mit möglichst wenigen Gedanken zu beginnen", so der Autor.

Schriftsteller mit Problemen

Der Schriftsteller Francis lebt mit seiner zweiten Frau Judith, einer Immobilienmaklerin, in einem Haus im Süden Frankreichs. Ein angenehmes Dasein, möchte man meinen, aber plötzlich häufen sich die Probleme. Francis' Tochter Alice, eine bekannte Schauspielerin, verschwindet spurlos, sein Schwiegersohn Roger, ein Banker, der seine Drogensucht nur mit Mühe überwinden konnte, kommt mit seinen beiden Töchtern aus Paris angereist und bringt Francis Alltag durcheinander.

Zudem wird Francis immer wieder von Erinnerungen an seine erste Frau Johanna und seine Tochter Olga gepeinigt, die bei einem schrecklichen Unfall ums Leben kamen, und auch Judith ist so oft außer Haus, dass Francis befürchtet, sie könnte eine Affäre haben. Kein Wunder, dass Francis' Versuche, nach längerer Zeit wieder einen Roman zu schreiben, zum Scheitern verurteilt sind.

Keine Lust zum Schreiben

In seiner Not bittet Francis Anne-Marguerite, eine ehemalige Schulfreundin, die von allen nur A. M. genannt wird, Nachforschungen über Alices Verbleib anzustellen. Und auch A. M.s Sohn Jérémie, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, bekommt einen Auftrag: Er soll Judith beschatten und herausfinden, ob sie Francis wirklich betrügt.

Nach und nach lässt Philippe Djian seine Figuren aufmarschieren, wobei der Erzähler Francis für ihn besonders interessant war: "Francis ist ein Schriftsteller, der den Erfolg gekannt hat, der nicht bewusst aufgehört hat zu schreiben, aber der keine Lust mehr hat. Er ist sich der Tatsache bewusst, dass man, wenn man ein relativ bekannter Autor ist, in dieser Gesellschaft nicht verpflichtet ist, Romane zu verfassen. Man kann Erzählungen schreiben oder Artikel, man kann zu Konferenzen fahren und so seinen Lebensunterhalt verdienen. Wenn man nicht wirklich motiviert ist, muss man keinen Roman schreiben. Francis ist ein Schriftsteller, der keine Lust mehr hat zu schreiben. Und er begreift, dass die einzige Möglichkeit, seiner Lustlosigkeit zu entkommen, darin besteht, wieder zu schreiben. Wenn man einen Roman schreibt, schottet man sich ab, es ist, als ob man um sich herum eine Mauer baut."

"Höhepunkt am Anfang"

Aber die Mauer, die Francis so gern um sich bauen würde, ist brüchig und immer wieder stürzen die Ereignisse auf ihn ein. A. M. ist an Krebs erkrankt und hat nur mehr wenige Monate zu leben. Gleichzeitig stellt sich heraus, dass Alice gar nicht verschwunden ist, sondern sich aus Publicitygründen versteckt hat. Das zu verraten tut dem Roman keinen Abbruch, denn Philippe Djian ging es nicht darum, die Suche nach einer vermissten Tochter zu beschreiben:

"Das Buch hätte schnell bei der Suche nach der verschwundenen Person landen können. Dann gäbe es den Höhepunkt am Ende, wenn man die Person dann findet. Aber wenn man einen Roman amüsanter gestalten will, wenn man ein bisschen überraschen will, nimmt man den Höhepunkt und stellt ihn gleich an den Anfang."

Vielmehr interessieren Djian die komplizierten Beziehungen zwischen den Personen, etwa wenn sich Francis weigert, Alice zu verzeihen. "Weil er sie sehr liebt, weiß er, dass er ihr nicht verzeihen darf", so Djian. "Wenn man jemandem verzeiht, ist alles wieder gut. Das will er nicht. Er will die Spannung aufrechterhalten, er will, dass es zwischen ihnen knistert. Er wird ihr nicht verzeihen. Diese Tatsache sorgt dafür, dass die Beziehung lebendig bleibt."

Bedeutsame Sprache

Vor allem anderen aber geht es Philipe Djian auch in diesem Roman um die Sprache. Nicht die Handlung sei wichtig, sagt er, allein die Sprache sei das Bedeutsame. Daher schreibt er einen Satz nur dann auf, wenn er ihn im Kopf zuvor gedreht, gewendet und für gut befunden hat:

"Ich stelle mir immer vor, ich könnte mitten in der Arbeit am Roman sterben. Und dass dann jemand kommt und sich fragt: Welchen Satz hat er als Letztes geschrieben? Ah, der Satz ist nicht schlecht. Oder vielleicht: Was ist denn das? Dieser Satz da ist ja hässlich! Darauf achte ich immer. Was ich schreibe, ist wie in Stein gemeißelt, ich ändere das nachher nicht mehr."

Tatsächlich ist Philippe Djians Sprache auch diesmal gewandt, flüssig und eingängig, und ganz automatisch entsteht in dieser anschmiegsamen Prosa das Bild einer Familie, die zu zerbrechen droht, aber dennoch irgendwie zusammenhält.

Den Figuren Grenzen setzen

Francis ist ein ziemlich selbstgerechter, aber dennoch nachvollziehbarer Protagonist, und rund um ihn formieren sich die anderen Figuren in Djians Schreibkosmos: "Meine Arbeit besteht darin, Grenzen zu setzen. Innerhalb dieser Grenzen tun die Figuren, was sie wollen. Ich bin nur dazu da, um zu kontrollieren, dass sie nicht zu weit gehen. In ihrem Territorium können sie alle Dummheiten begehen, auf die sie Lust haben. Ich sehe ihnen zu, und wenn ich merke, dass einer mich mehr interessiert als der andere, wende ich mich dem zu."

Nicht umsonst bezeichnen Kritiker "Die Leichtfertigen" als Djians besten Roman seit Jahren: Die Personen sind lebendiger, die Sprache ist eleganter, die Geschichte fesselnder. Es ist ein Roman, der betört, der eine Welt entwirft, in der man sich als Leser gerne aufhält - auch wenn der Autor selbst die Meinung der Kritiker nicht teilen mag:

"'Die Leichtfertigen' ist ein Roman unter anderen, aber ich weiß, warum er die Kritiker mehr berührt: weil da Figuren sind, die diesen Kritikern sehr nahe sind. Sie verstehen die Probleme von Francis, sie kennen die Geschichte. Aber mir ist die Geschichte völlig egal. Wenn man mir sagte, 'Die Leichtfertigen' ist besser geschrieben oder die Sprache ist schöner, würde ich sagen: ach ja, warum? Ich weiß, es liegt daran, dass alle etablierten Kritiker das kennen: die Geschichte eines Mannes, der seine Frau verloren und Probleme mit seinen Kindern hat. Okay. Aber es ist nicht mein bestes Buch."

Service

Beitrag: Philippe Djian, "Die Leichtfertigen", Diogenes Verlag

Diogenes - Die Leichtfertigen