Verarbeitung des Ungarn-Aufstands 1956

Neuer Roman von Evelyn Schlag

Viele Österreicher haben noch Erinnerungen an den niedergeschlagenen Ungarn-Aufstand 1956 und die darauffolgende Flüchtlingswelle, doch literarisch wird das Thema - abgesehen von Esterhazy und Dalos - kaum aufgegriffen. Nun siedelt die österreichische Autorin Evelyn Schlag ihren neuen Roman vor diesem Hintergrund an. "Die große Freiheit des Ferenc Puskas" ist der Titel.

Kultur aktuell, 27.08.2011

Eines vorweg: Um den ungarischen Fußballspieler Ferenc Puskas geht es in Evelyn Schlags neuem Roman nicht. Er wird nur einmal namentlich erwähnt - als Held in einem Deutschaufsatz, den der kleine Laszlo Földes 1958 in der Schule schreibt, zwei Jahre, nachdem er mit seiner Familie nach Österreich geflohen ist - wie rund 100.000 andere Ungarn, nachdem der Volksaufstand gegen die kommunistische Diktatur durch die Sowjetarmee niedergeschlagen wurde.

"Ferenc Puskas ist für den Buben, der mit den Eltern flüchtet, ein großer Held, weil auch er geflüchtet ist - und Laci braucht diese Identifikationsfigur, um sich seines Ungarntums bewusst zu sein und stolz zu sein", erklärt Evelyn Schlag. "Es reißt ihn ziemlich hin und her - einerseits möchte er behalten, was er kannte, und was ihn zum Ungarn macht, andererseits möchte er so unauffällig wie möglich und ein österreichisches Kind sein."

Sprachschwierigkeiten

Während der kleine Lazlo alles tut, um sich anzupassen und die Mutter mit ihren guten Deutschkenntnissen schon bald berufliche und amouröse Erfolge feiert, ist es für Vater Istvan schwerer. Nach dem Aufenthalt im Flüchtlingslager bekommen die Eltern zwar Arbeit in einem Molkereibetrieb, doch der Vater, der noch an den Folgen einer Schussverletzung leidet, bleibt mit seinem schlechten Deutsch Hilfsarbeiter.

"Es zählt anderes Wissen, andere Erfahrungen, der Einsatz des Vaters für die Revolution bedeuten dann nichts mehr", sagt Schlag. "Er kann sich nicht so ausdrücken, wie er möchte, und entwickelt sich nicht vorwärts."

Figur mit Eigenleben

Schlag selbst war 1956 erst vier Jahre alt, hat weder familiäre noch sonstige emotionale Verbindung zu dem Ereignis. Ausgangspunkt für sie war lediglich der Name Lazlo - und plötzlich war da eine Figur, die ein Eigenleben entwickelte und nach einer Geschichte verlangt hat. Die Recherche war deshalb umso intensiver - ein Teil der Arbeit, den Schlag besonders liebt, "weil ich mich zurücklehnen und Geschichten zuhören kann".

"Evelyn Schlag hat noch nie einen so raffiniert gebauten Roman geschrieben", meint der österreichische Literaturkritiker Cornelius Hell. Denn die Geschichte springt immer wieder in die Gegenwart ins Jahr 2008, als der verwirrt wirkende Lazlo Földesch an einer aufgelassenen Tankstelle dem Rechtsanwalt Valentin Görtz begegnet - ein scheinbar zufälliges Treffen, doch nach und nach wird deutlich, wie ihre Geschichten miteinander verknüpft sind.

Herausgefordert durch politische Ereignisse

Evelyn Schlags Sprache ist nicht glatt, man kann sie nicht überfliegen, konsequent verzichtet sie auf Anführungszeichen bei der direkten Rede, fast lyrisch muten die Sätze und Formulierungen an.

"Es bietet sich durch die Zweisprachigkeit des Ungarnbuben die Möglichkeit, sprachspielerisch damit umzugehen", meint Schlag, "und auf diese Weise entsteht eine Metasprache, die nie ganz stimmt, aber meistens eine Wahrheit transportiert."

Evelyn Schlag arbeitet still und kontinuierlich im Hintergrund. Sie sei keine Einmischungsautorin, hat sie selbst einmal gesagt. Von der Kritik wurde sie manchmal ins Eck der feministischen Frauenliteratur gedrängt, in dem eigenes Erleben und Empfinden verarbeitet wird mit den zentralen Themen "Krankheit, Männer und Schreiben". Doch spätestens mit ihrem jüngsten Roman streift sie diesen Stempel vollkommen ab. Facettenreich reduziert sie die Welt nicht auf den eigenen Blickwinkel, sondern erzählt fein und mit leisem Humor die Geschichte einer Familie, die durch die politischen Ereignisse herausgefordert wird. Und wer sich erst einmal durch den Anfang gebissen hat, wird belohnt.

Evelyn Schlag liest am Donnerstag, 18. August 2011, um 20:30 Uhr beim Literaturfest o-töne im Wiener Museumsquartier.

Textfassung: Ruth Halle

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Evelyn Schlag, "Die große Freiheit des Ferenc Puskás", Zoslnay Verlag