Frankreichs Sozialisten planen Teilausstieg
Wende in Atompolitik
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima ist jetzt, mit einiger Verzögerung, auch im europäischen Atomkraftstaat schlechthin, nämlich in Frankreich, eine Debatte über Atomenergie beziehungsweise den Ausstieg daraus ausgebrochen - und das nur fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 19. 11. 2011
Umdenken nach fünf Jahrzehnten
Auslöser für die Debatte in Frankreich ist ein unter größten Schwierigkeiten ausgehandeltes programmatisches Abkommen zwischen der Sozialistischen Partei und den französischen Grünen. - Ganz mit Blick auf die Parlamentswahl im Juni nächsten Jahres, die nur sechs Wochen nach der Präsidentschaftswahl stattfinden wird. In diesem Abkommen, dem die grünen Parteigremien noch am Samstag zustimmen sollen, vollzieht Frankreichs sozialistische Partei erstmals seit fünf Jahrzehnten eine Wende von einem 100-prozentigen Pro-Atomenergie-Kurs in Richtung Teilausstieg.
Abkommen mit Grünen
Am Ende der monatelangen Verhandlungen über das programmatische Abkommen mit den Grünen, waren Frankreichs Sozialisten bereit zumindest der Abschaltung der 20 ältesten Atommeiler bis zum Jahr 2025 zuzustimmen, den Energiemix des Landes zugunsten erneuerbarer Energien deutlich zu ändern. Francois Hollande, ihr gekürter Präsidentschaftskandidat, hatte schon während des Vorwahlkampfs um die Kandidatur betont: "Ich sage bis zum Jahr 2025 muss der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung von heute 75 auf 50 Prozent verringert werden. Damit machen wir im selben Zeitraum die gleiche Anstrengung wie die Deutschen, die ihren Anteil von 22 auf ein oder zwei Prozent reduzieren." Wäre Parteichefin Aubry, die die Verhandlungen mit den Grünen geführt hatte, Präsidentschaftskandidatin geworden, wäre die Atomenergie in dem gemeinsamen Programm vielleicht sogar noch weitgehender in Frage gestellt worden.
Atomlobby fuhr schweres Geschütz auf
Dass dieser Schritt der Sozialisten neu und ernst zu nehmen ist, mag man auch daraus ersehen, dass die berühmte Atomlobby Frankreichs bis zum letzten Moment schwerstes Geschütz aufgefahren hat. Der Chef des Stromkonzerns EDF verstieg zu den Worten, ein Ausstieg aus der Atomenergie würde die französische Wirtschaft ruinieren und ein Million Arbeitsplätze kosten. De facto sind direkt und indirekt rund 400.000 Menschen in der französischen Atomwirtschaft beschäftigt. Der Atomkonzern AREVA ging sogar so weit, führende Sozialisten bis zum letzten Moment mit Nachrichten auf ihren Handys zu bombardieren, sie sollten das Abkommen nicht unterzeichnen.
Unterstützung von Sarkozy
Der konservative Figaro titelte gestern: "Die Linke bringt die französische Atomwirtschaft in Gefahr" und Staatspräsident Sarkozy hatte am Vortag vor hunderten Industriellen gesagt: "Aus dieser Energie aussteigen, bedeutet beträchtliche Schäden für unsere Industrie und Sie, meine Damen und Herren, müssten die Energie, die ihre Betriebe brauchen, 40 Prozent teurer bezahlen. Keiner von ihnen würde das überleben. Alle politischen Familien des Landes haben diese einzigartige nationale Anstrengung mitgetragen, die es Frankreich ermöglicht hat, in der Atomenergie an erster Stelle zu stehen. Ich werde nicht zulassen, dass man diesen Vorteil verschleudert."
Bericht beflügelt Debatte
Keine Frage: Die Atomenergie wird im langsam beginnenden französischen Präsidentschaftswahlkampf diesmal ein echtes Thema werden. Dass das staatliche Institut für Strahlenschutz und Reaktorsicherheit vorgestern einen Bericht vorgelegt, der beträchtliche und kostenintensive Nachbesserungen für die Sicherheit einer ganzen Reihe von AKWs fordert, dürfte diese aufkommende Debatte nur noch beflügeln.