Die Geburt der Kosmologie

Das 4%-Universum

Dass er einmal spannende Bücher über sperrige, wissenschaftliche Themen schreiben würde, hätte sich Richard Panek nie träumen lassen. Nicht nur hat er keine naturwissenschaftliche Vorbildung, in der Schule und im College, erzählt der Autor, war ihm Wissenschaft sogar besonders zuwider gewesen. Wenn er konnte, stahl er sich aus Fächern wie Physik und Chemie davon.

Doch dann lud ihn ein Verleger ein, die Geschichte des Teleskops zu schreiben. Und seither lässt ihn das Weltall nicht mehr los. Zugegeben, manchmal muss er das, was er in jungen Jahren versäumt hat, zum besseren Verständnis der Materie, mit der er sich befasst, nachlernen. Für "Das 4%-Universum" musste Richard Panek sich Einsteins spezielle Relativitätstheorie zu Gemüte führen. Es dauerte ein Weilchen, bis er's kapiert hatte.

Sterne, Monde und Galaxien

Der Titel von Richard Paneks Buch könnte nicht treffender gewählt sein: "Das 4%-Universum. Dunkle Energie, dunkle Materie und die Geburt einer neuen Physik". Was man am Sternenhimmel mit freiem Auge sieht und was die Astronomen früherer Jahrhunderte durch ihre Teleskope betrachtet haben - also Sterne, Monde und Galaxien - machen nur vier Prozent des Universums aus. 73 Prozent des Weltalls sind dunkle Materie und 23 Prozent dunkle Energie. Richard Panek beschreibt, wie Forscher über die letzten 50 bis 60 Jahre zu dieser Erkenntnis gelangten und dabei eine neue wissenschaftliche Disziplin begründeten: die Kosmologie.

"Vor 50 Jahren galt Kosmologie als eine Art Metaphysik", so Panek. "Beim Schreiben des Buches fiel mir eines auf: Indem ich über dunkle Materie und dunkle Energie schrieb, beschrieb ich auch, wie Kosmologie sich zu einer respektieren Wissenschaft entwickelte. Das hat mich selber überrascht, denn das hatte ich ursprünglich nicht vorgehabt."

Spezialisierung in Detailgebiete

Anfang der 1950er Jahre kannte in der Astronomie jeder jeden. Dann wurde die Disziplin immer spezialisierter. Am Anfang waren die Teleskope auf Bergspitzen, doch schon bald lieferten Radiowellen, Infrarot und Röntenstrahlen Daten. Und ab dann begann die Astronomie sich in viele Teildisiziplinen zu unterteilen. Man studierte also nicht mehr den Himmel, sondern Sterne bzw. die Beschaffenheit von Sternen oder einen bestimmten Aspekt der Beschaffenheit von Sternen. Leute erforschten nicht einfach Supernovae, sondern das Infrarotspektrum der Supernovae vom Typ 1A.

Ein Handlungsstrang des Buches verfolgt den Wettbewerb zwischen zwei astronomischen Teams. Die Forscher suchten in den 1980er und 90er Jahren nach Supernovae, also nach Sternen am Ende ihres Lebens, die - kurz bevor sie in einer Explosion verglühen - hell aufleuchten. Mit diesen Daten versuchten die Astronomen zu errechnen, wie schnell sich das Weltall ausdehnte.

In der Rivalität steckt übrigens der Keim zu Richard Paneks Buch. Er schrieb einen Artikel für die "New York Times" und merkte an den heftigen Reaktionen der beiden Teams, mit wie viel Leidenschaft hier geforscht wurde und wie viel mehr in diesem Thema eigentlich drinsteckte: "Nach der Veröffentlichung des Artikels hörte ich von Wissenschaftlern aus beiden Lagern. Der eine hatte an diesem, der andere an jenem etwas auszusetzen. Und manchmal handelte es sich nur um Feinheiten in einem Satz. Ich wusste ja, dass hier eine Rivalität bestand, doch die Leute argumentierten auf einer sehr abgehobenen Ebene. Mir wurde also klar, dass ich mich für das Buch wirklich in diese Materie einarbeiten und die Feinheiten der Argumente beider Seiten verstehen musste. Wenn jetzt einer sagt, er sei anderer Meinung als ich, sage ich, ist ok. Aber ich hoffe sehr, dass ich ein ausgewogenes Buch geschrieben habe. Und ich glaube, dass die Forscher - zumindest jene, die mit mir reden - auch dieser Meinung sind. Ich habe wirklich versucht, beiden Seiten gerecht zu werden."

Beide Teams beendeten ihre Berechnungen über die Ausdehnung des Universums etwa zur gleichen Zeit.

Schwieriges Thema verständlich erklärt

Eine Stärke von Richard Paneks Buch liegt darin, dass er ein schwieriges Thema verständlich erklärt. Er hat bewusst versucht, komplizierte Konzepte und hochspezielle Begriffe so simpel wie möglich zu erklären. Der Autor weiß zwar mehr als die handelnden Personen, doch er lässt es sich nicht anmerken.

"Die Astronomen entdeckten Hinweise für die Expansion des Universum, was ja - wie wir es nun nennen - mit dunkler Energie zusammenhängt", sagt Panek. "Doch anfangs verstanden die Forscher nicht, welche Theorien diesen Beobachtungen zugrunde liegen konnten. Sie mussten also die Prozesse verstehen lernen. Ich habe in dem Buch ihre Rolle eingenommen. Also zum Beispiel: Der Schlüssel zum Geheimnis über die Expansion heißt lambda. Was das genau ist, spielt keine Rolle. Ich habe jedenfalls meinem Lektor gesagt, dass lambda erst dann vorkommen wird, wenn die Forscher, deren Weg ich nachzeichne, es brauchen. Ich will nicht, dass der Leser aussteigt, weil er im 1. oder 2. Kapitel über lambda stolpert. Also komme ich erst im Kapitel 7 oder 8 darauf zu sprechen, zu dem Zeitpunkt, als die Forscher darauf stoßen."

Eine zweite Stärke des Buches ist, dass Richard Panek Wissenschaftler so lebhaft beschreibt, als wären sie Charaktere in einem Roman. Das verwundert auch nicht, denn der Autor wurde für seine Erzählungen mit einem Pen-Preis ausgezeichnet.

Zu den Stars der modernen Kosmologie gehört Vera Rubin. In den 1970er Jahren entdeckte die Astronomin als erste Beweise für schwarze Materie. "Ich mag die Position, die sie in der Geschichte einnimmt", sagt Panek. "Sie wurde 1928 geboren, vier Jahre nachdem Edwin Hubble Galaxien außerhalb der unseren entdeckte und auch, dass diese sich voneinander entfernten. Das war somit ein Hinweis auf den Urknall. Vera Rubins Welt war also eine ganz andere als jene der damals arrivierten Astronomen. Sie wuchs mit einem Universum auf, das sich bewegte. Sie dachte über Galaxien nach, über die Expansion des Universums, und wie sie das am besten erforschen könnte. Also betrachtete sie das Sonnensystem, das rotiert. Auch unsere Galaxie rotiert. Und sie sagte sich: OK, wir wissen, dass es andere Galaxien gibt, die auch rotieren. Heißt das, das ganze Universum rotiert? Und sie begann, an dem Problem zu arbeiten."

In den 1950er Jahren stand Vera Rubin mit ihren Überlegungen über Galaxien noch allein da. 20 Jahre später waren ihre Berechnungen herrschende Lehrmeinung.

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Richard Panek, "Das 4%-Universum. Dunkle Energie, dunkle Materie und die Geburt einer neuen Physik", aus dem Amerikanischen übersetzt von Hainer Kober, Carl Hanser Verlag

Hanser Verlag - Das 4%-Universum