Peter Handkes neues Buch
Die Geschichte des Dragoljub Milanović
In Peter Handkes in diesem Sommer bei den Salzburger Festspielen uraufgeführtem Stück "Immer noch Sturm", seiner träumerischen Auseinandersetzung mit der eigenen Kärntner-slowenischen Familiengeschichte und der Geschichte des slowenischen Widerstandes gegen die Nazis, sagt das erzählende Ich: "Jetzt wollte ich endlich den Klartext reden, dem auszuweichen man seit jeher mir vorwirft - wieder nichts".
8. April 2017, 21:58
Der Klartext, die unverblümte Darstellung der Fakten, will diesem Schriftsteller nicht gelingen, nein, er misstraut vielmehr dem Klartext als Aussageform seit jeher. Und so verwandeln sich die Stoffe unter der Hand in Träume, in Visionen, in Erzählungen, oder auch in Polemik. Zu Missverständnissen, zu harter Kritik, zu Medienschelte vonseiten Handkes und journalistischen Gegenattacken führte das jahrelang vor allem immer dann, wenn es um Ex-Jugoslawien ging, vor allem um das Bild Serbiens, wie es medial vermittelt wird.
Und nun ein Buch, das eine ganz und gar wahre Geschichte aus Serbien erzählt. "Es ist hier eine Geschichte zu erzählen", lautet der erste Satz. Die Geschichte nämlich des ehemaligen Direktors des staatlichen serbischen Fernsehens und Radios, Dragoljub Milanović. Seit neun Jahren sitzt Milanović nicht in einem internationalen Gefängnis, nicht in Den Haag, er sitzt in einem serbischen Gefängnis, verurteilt von einem serbischen Gericht.
"Einem Holzstoß" erzählen
Ihm wurde zur Last gelegt, in der Nacht des 23. April 1999, vier Wochen nach Beginn der NATO-Intervention in Ex-Jugoslawien, seine Angestellten nicht gewarnt und geschützt zu haben, sie nicht in Sicherheit gebracht zu haben. Denn in jener Nacht wurde die serbische Fernseh- und Radiostation im Zentrum von Belgrad bombardiert, 16 Menschen starben, es gab viele Verletzte. Milanović selbst hatte den Sender nur wenige Stunden zuvor verlassen und entkam so dem Angriff. Handke hat Milanović im Gefängnis besucht und seine Geschichte aufgeschrieben.
Wem aber soll er sie erzählen, wo doch sowieso keiner zuhören will? Mit einem melancholischen Unterton heißt es: "einem Holzstoß", einem "leeren Schneckenhaus" oder "wie im Übrigen zum ersten Male, mir hier ganz allein". Das mag etwas nach Koketterie klingen, denn die Entscheidung, diese Geschichte zu veröffentlichen, mit dem zu erwartenden Effekt, dass sie im Radio und anderswo weiter- und nacherzählt wird, macht sie zu einer öffentlichen Geschichte. Peter Handke setzt seinen Namen für den Gefangenen ein, und er kritisiert eine Entscheidung, die er nach wie vor für ungerechtfertigt, ja, die er nach wie vor für ein Verbrechen hält: den NATO-Einsatz gegen Serbien, die Bombardierung Belgrads und anderer Städte mit den unvermeidlichen Opfern, die sich hinter dem Wort "Kollateralschäden" verbergen.
Um Ausgewogenheit bemüht
Diese Diskussion muss weitergehen, sie wird zum Gegenstand der Historiker werden, und sie wird auch Peter Handke vermutlich auch in Zukunft nicht loslassen. Doch die Polemik, der Skandal, die jahrelang jede Äußerung Handkes zu Jugoslawien begleiteten, sie sind auch von Seiten des Autors einer melancholischeren, ruhigeren, einer durchaus um Sachlichkeit und auch in der subjektiven Anschauung um Ausgewogenheit bemühten Haltung gewichen.
Diese Nachdenklichkeit kennzeichnet die große Erzählung "Die morawische Nacht" aus dem Jahre 2008, sie kennzeichnet den subjektiven Reisebericht der Kosovo-Erzählung "Die Kuckucke von Velika Hoća" von 2009, sie grundiert die erträumte Familiensage über die Kärntner Slowenen, das Stück "Immer noch Sturm".
Nur Kriegspropaganda?
Auf den ersten Blick scheint die kurze, nur 37 Seiten umfassende Geschichte des serbischen Fernsehdirektors von den genannten Büchern abzuweichen. Der Ton ist von deutlicher Ironie gekennzeichnet, wenn es um den Tony und den Bill geht, den ehemaligen britischen Premier Tony Blair und den ehemaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton und ihre Rechtfertigung des NATO-Einsatzes in Ex-Jugoslawien.
Dabei ging es und geht es auch um die Frage, ob das serbische Fernsehen tatsächlich nur Kriegspropaganda betrieben hat oder, wie Handke meint - und er bezieht sich auf seine subjektive Wahrnehmung der gesendeten Bilder 1999 - eben nicht. Denn dass den Bildern von den angerichteten Schäden und den Opfern des NATO-Einsatzes Bilder mit blühenden Landschaften eines unzerstörten Landes entgegengestellt wurden, das will der Erzähler nicht als Propaganda sehen.
Es geht auch hier wieder um eine Beurteilung der medialen Bilder, um deren von Handke so empfundene Einseitigkeit und manipulative Ausrichtung, die er während der Jugoslawien-Kriege heftig angriff. Erst eine objektive Medienanalyse, vorgenommen aus der Distanz einer um Objektivität bemühten Geschichtswissenschaft, wird das klären können. Das heißt: Handkes Erzählung erhebt nicht den Anspruch journalistischer Recherche oder historisch fundierter Urteile. Handke nennt explizit Titel von Büchern, in denen der Fall Milanović in allen Details abgehandelt wird. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn die Erzählung zunehmend visionäre, melancholische, immer aber auch poetisch-ironische Züge annimmt, das schließt sich zumal bei Handke nicht aus.
Wie Blätter im Wind
Man muss ganz genau lesen, denn es ist Handkes stupender Erzählkunst zu verdanken, die ein poetisches Bild mit Aussagen verbindet, die einen allgemeinen Wahrheitsanspruch erheben. An einer Stelle wird Klartext gesprochen, wenn es um die serbischen Kriegslügen geht: Der Luftdruck der Bombe, so erzählt es Handke, hat zur Folge gehabt, dass die grünen Studiobänder des Senders im Park um das zerstörte Gebäude an den Birken hängen blieben und wie Trauerfahnen oder tibetanische Gebetstücher im Winde wehten.
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Und jetzt lässt der Frühling, zwischen den grünen Birkenblättern, diese andersgrünen Bänder durch die Lüfte wehen. Unhörbar und unschädlich gemacht so all die Gräuelpropaganda, die Kriegslügen und insbesondere die Durchhaltegesänge, mobilgemacht aus sechs Jahrhunderten eines bloß eingebildeten Durchhaltens, und mobilgemacht eindeutig für Angriffszwecke, für Vertreibung, für Völkermord.
Ironische Zukunftsvision
Das Buch schließt mit einer ironischen Vision: Tony Blair und Bill Clinton unterschreiben eine Petition zugunsten des Gefangenen, spenden jeweils das horrende Honorar eines ihrer Vorträge für Milanović' Verteidigung und demonstrieren schließlich Hand in Hand vor dem Gefängnis für die Freilassung des Inhaftierten. Ja, Mister Blair will, "gar zur Orthodoxie konvertieren", sich taufen lassen, "wobei er als Ganzer, samt Kopf und Kragen, unter Wasser getaucht werden soll".
Und dann setzt der Erzähler seiner Vision noch eins drauf, und einen Moment lang, eine Schrecksekunde beim Lesen lang glaubt man, dass es wirklich so ist, dass man etwas verpasst hat in der Entwicklung der Weltgeschichte. Da steht dann, dass im August 2012 eine ultimative Weltfriedenskonferenz in dem verstaubten Ort stattfinden wird, im Schlossgasthaus jener Stadt, in der Dragoljub Milanović im Gefängnis sitzt, und dass der Internationale Gerichtshof in Den Haag die Fallgeschichte aufnimmt und Milanović Gerechtigkeit widerfährt.
Das serbische Fernsehen ist inzwischen eines der besten und demokratischsten der Welt und der Kosovo wirbt als albanischer Staat friedlich und gesamteuropäisch für die Qualität seiner Weine.
Das ist ein schönes Märchen, ein versöhnliches, eines, das so nur Peter Handke erzählen kann. Wer ihm daraus einen Strick drehen möchte, wird sich einigermaßen dabei verrenken müssen. Denn es geht ihm nicht darum, einen Fall in all seinen Details zu rekonstruieren, das haben andere getan und sollten es in vielen anderen Fällen tun; sondern es geht darum, und dafür ist die Literatur schließlich da, die Geschichte immer wieder anders zu erzählen. Das tut Peter Handke auch in diesem Büchlein mit einer beeindruckenden Gelassenheit und ironisch gefärbten Melancholie.
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Peter Handke, "Die Geschichte des Dragoljub Milanović", Jung und Jung Verlag
Jung und Jung - Peter Handke