"Ein Gefühl von dir"

Anneliese Rohrer rät zum Ungehorsam

"Ich glaube nicht, dass es ein anderes Land gibt, wo der Begriff 'vorauseilender Gehorsam' geprägt wurde, also gehorsam zu sein und Dinge zu erledigen, bevor der Befehl überhaupt noch ausgesprochen wurde. Die Schweiz hat diesen Begriff sicher nicht erfunden, ich glaube, der gehört schon uns!" Anneliese Rohrer, die Journalistin und streitbare Kommentatorin des politischen Geschehens, beschreibt ein spezifisch österreichisches Phänomen.

Jemand glaubt genau zu wissen, was einer Autorität gefällt und handelt - in Erwartung eines persönlichen Vorteils - ganz ohne Anweisung, im Sinne dieser übergeordneten Instanz. Und so wird geschmeichelt, gebuckelt und Süßholz geraspelt, auch wenn die Lage schon längst ernst ist, die Zustände untragbar sind und das Unrecht zum Himmel schreit.

"Ende des Gehorsams" fordert Anneliese Rohrer daher in ihrem gleichnamigen, jüngst erschienenen Buch. In der Serie "Anblicke und Einsichten" erzählt die langjährige Innenpolitik-Journalistin, wie sie selbst begann, ein Leben in Ungehorsam zu führen.

Anneliese Rohrer, Journalistin

"Altersmäßig könnte ich jetzt am Fluss sitzen - und sie kommen alle vorbei..."

Nachhaltige Prägung

"Ich kann es genau definieren, wann das war: Das war in der Zeit, wo der damalige Finanzminister Hannes Androsch unter Verdacht der Steuerhinterziehung stand. Ich bin herumgegangen und hab gesagt, wir können keinen Finanzminister akzeptieren, der Steuern hinterzieht. Und ich musste mich damals so lächerlich machen lassen: 'Steuer hinterzieht in Österreich doch jeder und überhaupt - alle wissen, dass der Androsch unschuldig ist, nur die Rohrer glaubt, dass er wirklich Steuern hinterzogen hat!' Ich musste mich in der Redaktion und in der Gesellschaft lächerlich machen lassen, und ich musste damals zehn Jahre warten: Nach zehn Jahren wurde Hannes Androsch wegen Steuerhinterziehung verurteilt, was man ihm nicht mehr vorwerfen darf, weil es verjährt ist, aber es war erwiesen."

Dieser Akt des Ungehorsams hat Anneliese Rohrers Leben nachhaltig geprägt. Nicht nur wurde ihre einzelgängerische Haltung rehabilitiert und im Nachhinein respektiert, sie selbst hatte erkannt, dass Überzeugungen und Mut zum Handeln notwendig sind, um ein Land nicht im sprichwörtlichen Sumpf versinken zu lassen.

Wer hat versagt?

Dass die Sumpfblüten aus der sogenannten "Wendezeit" in Österreich derzeit gut sichtbar an der Oberfläche treiben, erfüllt sie indes keineswegs mit Befriedigung. Das korrupte Verhalten einzelner Akteure, die Gier und die Dummheit der Hasardeure waren zu lange ungebremst.

"Altersmäßig könnte ich jetzt am Fluss sitzen - und sie kommen alle vorbei, und man hat es eh immer schon gewusst, aber das ist nicht gut für unser demokratisches System und nicht gut fürs Land. Wir müssen uns darüber unterhalten: Wer hat denn versagt, dass die Aufklärung so lange gedauert hat? Und was muss man korrigieren, damit das nicht wieder möglich ist und nicht wieder vorkommt? Dass das damals schon gestunken hat von da bis Timbuktu, das war ja jedem klar, aber es hat niemand etwas unternommen!"

Um etwas gegen politische Missstände zu unternehmen - und um eine kritische Öffentlichkeit zu schaffen -, lädt Anneliese Rohrer seit einiger Zeit ins Wiener Café Landtmann zum Stammtisch der "Wut- und Mitbürger" - um einen Diskurs zu den innenpolitischen und gesellschaftlichen Themen der Zeit zu entfachen: Das Verhältnis mancher Medien zu den Machthabern soll hinterfragt werden; die sich auftuende Schere zwischen Reich und Arm kritisch beleuchtet und die Verfolgung korrupter Politiker vorangetrieben werden.

Kein Diskurs zu Kultur

Skandalös finden die engagierten Bürger etwa auch die Einsparungen bei Kultur und Bildung. Apropos Kultur: Diese hält sich Rohrers Empfinden nach allzu sehr im Hintergrund. Provokationen, die ein ganzes Land aufwühlen und zur Auseinandersetzung mit Themen zwingen, gebe es schon lange keine mehr - da müsse man schon weit zurückzublicken:

"In meiner Erinnerung sind da die 'Staatsoperette', wo sich alle irrsinnig aufgeregt haben, das zweite war Thomas Bernhards 'Holzfällen' und Thomas Bernhard überhaupt. Diese Ereignisse haben unglaublich polarisiert, doch dann passierte etwas typisch Österreichisches: Das ist eine Zeitlang aufgeflackert, aber ein wirklicher substanzieller Diskurs ist daraus nicht erwachsen! Dann kamen die etwas faden 1990er Jahre, dann die innenpolitisch aufgeheizten Jahre ab 2000. Aber wo war in diesen letzten zwanzig Jahren die Kunst?"

Kunst muss die Gemüter entflammen, mitreißen und zu heißen Diskussionen anregen, fordert Anneliese Rohrer: "Es ist alles ein bisschen 'middle of the road'. Man muss sich vorstellen: Die letzte wirkliche Diskussion war der Diebstahl der Saliera! Das kann es ja eigentlich nicht sein, oder?"

Der Mensch ist kein Untertan!

Provokationen werden vielleicht versucht, aber sie lösen nichts aus. Und Provokationen, die nichts bewegen, sind nutzlos, sagt die Journalistin Anneliese Rohrer: "Bei den Wiener Festwochen zum Beispiel habe ich mir gedacht: Alle anderen sind ergriffen, nur ich verstehe das nicht! Eigentlich müsste ich mich schlecht fühlen, weil ich das nicht verstehe, aber auf der anderen Seite sage ich mir: Was der mir da vorsetzt, das ist ja nur um der Provokation willen. Und das ist schon ein gesellschaftliches Phänomen: Da gibt es eine Gruppe, die ist ergriffen, weil man ergriffen sein muss, weil der Name groß ist, obwohl sie gar nicht versteht oder nicht zu artikulieren weiß, wovon man ergriffen sei, nur einfach, weil es schick ist!"

Anneliese Rohrer hofft, mit ihrem Buch "Ende des Gehorsams" etwas auszulösen: Der Mensch, so ihre Diagnose, ist kein Untertan, der sich vorauseilend arrangiert. Es gehe vielmehr darum, die Welt aktiv mitzugestalten. Wichtige Schritte in diese Richtung könnten auch über den Weg der Kunst gesetzt werden:

"Es geht doch darum, dass man ein Gefühl des Lebendig-Seins hat. Immer wieder schaue ich mir zum Beispiel ein bestimmtes Bild von Goya im Britischen Museum an, ein Bild, wo man sich lebendig vorkommt. Botho Strauß sagt: 'Das gibt mir ein Gefühl von mir!' Eine besondere Musik zum Beispiel ist für mich der 'Bolero' von Ravel, das hat jetzt überhaupt nichts mit Aufruf zum Aufstand zu tun, sondern das ist eine Musik, die gibt dir ein Gefühl von dir. Der Grund dafür ist wahrscheinlich für jeden ein anderer."

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Anneliese Rohrer, "Ende des Gehorsams", Braumüller Lesethek