Lebendige Kunstszene

Istanbul Biennale

Am Freitag, 16. September 2011 wird in Istanbul die 12. Biennale eröffnet, in einer Stadt, die nicht nur 15 Millionen Einwohner hat sondern auch inzwischen mehr als 200 Galerien. Aber wie geht es türkischen Kunstschaffenden in einem Land mit einer islamisch-konservativen Regierung?

Mittagsjournal, 16.09.2011

Kunst und Politik

In der Türkei kann heute jeder sagen, was er denkt. Diese Meinung in einem Kunstwerk auszudrücken, ist auch jederzeit möglich. Aber als kritischer Künstler dann auch noch zu überleben, das werde immer schwieriger sagt der Maler Bedri Baykam. Er wurde im vergangenen Frühling von einem Unbekannten mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt, weil er öffentlich gegen den Abriss eines Denkmals protestiert hatte.

Das Denkmal für die Menschlichkeit, wie es genannt wurde, sollte die Verständigung zwischen Türken und Armeniern darstellen. Ministerpräsident Erdogan fand die beiden 20 Meter hohen Betonblöcke geschmacklos und sagte das auch. Kurz danach kam ein Bautrupp und zersägte das pompöse Monument in kleine Teile.

Attentat auf engagierten Künstler

"Jetzt weiß die ganze Welt, dass der Premierminister jederzeit die Zerstörung einer Skulptur befehlen kann, egal wie heftig wir dagegen auch protestieren", sagt Baykam. "Und wir Künstler können jederzeit mit Messern angegriffen werden und unsere Werke einfach zerstört."

Wer hinter dem Attentat auf den engagierten Künstler gestanden ist, das wurde bis heute nicht geklärt. Aber Staatspräsident Gül hat den verletzten Maler persönlich angerufen, um sein Bedauern auszudrücken. Und das Denkmal, das dem Regierungschef so missfallen hatte und das Baykam verteidigen wollte, ist tatsächlich alles andere als schön. Doch die Debatte ging ja um die Symbolik, die dabei im Spiel war: Hier ein gut gemeintes Kunstwerk - da ein machthungriger Politiker, der mit einer einzigen abfälligen Bemerkung ein Denkmal niederreißen lassen kann.

Druck auf türkische Medien

Unter solchen Umständen müssten sich seine Künstlerkollegen viel stärker politisch einmischen, meint Baykam. Zum Beispiel den zunehmenden Druck auf die türkischen Medien zum Thema machen. 60 türkische Journalisten sind zurzeit in Haft, weil man vorwirft, sie hätten mit Hilfe des Militärs die Regierung stürzen wollen.

"Viele Künstler haben Angst, sich politisch zu äußern", bedauert Baykam. "In einem Land wie dem unseren müssten normalerweise hunderte Künstler diesen politischen Druck in ihren Werken verarbeiten. Aber die Leute haben Angst. Und deshalb machen sie nichts, was die Regierung angreifen könnte."

Kunst als Geschäft entdeckt

Künstler, die nicht mit der islamisch-konservativen Regierung übereinstimmen, tun sich schwer. Denn nicht nur die Türkei, auch die Stadt Istanbul und jeder einzelne Bezirk ist fest in der Hand der Regierung - und damit auch alle öffentlichen Ausstellungsräume.

Zwar sind in der Zwischenzeit auch private Kunstmäzene auf den Plan getreten, seit sich gezeigt hat, dass Kunst auch in der Türkei ein gutes Geschäft sein kann. Die erste Picasso-Ausstellung im Jahr 2005 war der Wendepunkt. Seither sind in Istanbul über 200 Galerien aus dem Boden geschossen.

Türkische Biennale-Beiträge mild

Aber auch die reichen Familien des Landes sind bedacht darauf, eine zunehmend empfindliche Regierungspartei nicht zu reizen. Das zeigt sich auch wieder bei der Biennale, die am Donnerstag, 15. September 2011 eröffnet wurde, und wo die Familie Koc, eine der einflussreichsten Familien, als Sponsor auftritt. Während aus Lateinamerika oder Palästina sehr politische Kunstwerke zu sehen sind, bleiben die türkischen Beiträge auffällig mild.

Doch junge türkische Künstlerinnen wie Eylem Aladogan verstehen sich deshalb keineswegs als unpolitisch. Sie wählen nur einen weniger plakativen Zugang und setzen mehr auf unterschwellige Botschaften. Mit einer imposanten Konstruktion aus aufgestellten Gewehren und Federn spricht sie die weitverbreitete Angst vor der Zukunft an, die bei allen wirtschaftlichen Erfolgen in der türkischen Gesellschaft zu spüren ist. Diese Angst könne überwunden werden, will Aladogan mit ihrer Kunst sagen.

"Oben sieht man die Federn", beschreibt Aladogan. "Unten die Gewehre, die Angst ausdrücken und Gewalt, aber auch Stärke. Meine Gewehrläufe gehen in Federn über. Normalerweise schießt man auf etwas auf jemanden. Aber bei mir gehen die Schüsse in die Luft."

Offene Tabubrüche

Und doch gibt es in Istanbul auch immer wieder offene Tabubrüche: Am Donnerstag, abseits der Biennale, hat der Halil Altindere seine Ausstellung eröffnet. Der Titel "Wenn ich nicht tanzen kann, ist das nicht meine Revolution" zitiert die jüdisch-amerikanischen Anarchistin und Feministin Emma Goldman, zeigt Transsexuelle und deren schwierige Stellung in der türkischen Gesellschaft.

Er Lässt kurdische Geschichtenerzähler in ihrer Muttersprache zu Wort kommen - was auch bis vor kurzem Tabu war. Und hat Regierungschef Erdogan gemalt, wie er sich, umgeben von Militärs, im Südosten des Landes hinter Sandsäcken verschanzt. Und das zu einem Zeitpunkt, als der Regierungschef eine Öffnung zur kurdischen Bevölkerung versprochen hatte.

Angst als Mittel zur Veränderung

Altindere ist Anfang der Vierzig. Die nächste Generation hält offenbar weniger von Provokation als von Ermunterung: "Angst kann man auch positiv nützen, als Mittel zur Veränderung", sagt Eylem Aladogan. "Wenn sie sich Ihrer Angst stellen und sie damit überwinden, dann können sie daraus eine positive Energie schöpfen."

Welche Rolle Kunst in der Gesellschaft spielen soll, und wo sie zwischen politischem Druck und kommerziellen Interessen ihren Platz findet, die Diskussion darüber hat in der Türkei gerade erst begonnen.