Miguel Gutierrez beim steirischen herbst

Ein Tänzer inszeniert sich

Der New Yorker Choreograph Miguel Gutierrez zeigt beim steirischen herbst ab Donnerstag, 29. September 2011 sein Solo "Heavens what have I done". Ein Bühnenstück, das ganz unkonventionell beginnt.

Kulturjournal, 28.09.2011

"Heavens what have I done" beginnt wie eines dieser Stücke, die tun, als wären sie kein Stück. Während Cecilia Bartoli von der Konserve italienische Barockarien vorträgt, wieselt Miguel Gutierrez mit clownesk geschminktem Gesicht, sonst aber in Zivil herum; er bittet sein Publikum auf dem Bühnenboden Platz zu nehmen und fängt an, Gschichtln zu erzählen - von Tournee-Erlebnissen, Rückenproblemen, seiner Akupunkteurin oder davon, wie er endlich Platons "Symposion" las.

Kommentar: "Was der Eckstein westlicher Philosophie sein soll, das ist ein Haufen Fettsäcke, die rumsitzen, über ihre Boyfriends reden und sich besaufen."

Selbst und Selbstinszenierung

Spielt der Typ auf der Bühne eigentlich sich selbst oder eine Rolle, mag sich das Publikum fragen. Das genau ist für Gutierrez der Knackpunkt. Ehrlichkeit und Lüge, Selbst und Selbstinszenierung seien oft kaum auseinanderzuhalten. Auch und gerade bei der eigenen Person. Es gebe mehrere Versionen des Selbst; das sogenannte wahre Ich sei bloß ein Teil davon.

Er findet es gesellschaftlich immer schwieriger, sich selbst so zu erleben, wie der Mensch im Grunde sei: chaotisch, inkonsequent, mehrdeutig. Zusehends werde man kulturell in den einen identifizierbaren Rahmen gezwungen. Man merke das, wenn User Blogs im Internet kommentieren. Da steht dann zum Beispiel "Du sagst das, aber auch jenes – was davon glaubst du jetzt?"

Subtiler sozialer Druck

Gerade der amerikanische Mythos lege den Einzelnen auf eine heroische Version seiner selbst fest – auf den Teil des Ich, der immer das Beste gibt. Das erzeuge subtilen sozialen Druck.

In "Heaves what have I done" inszeniert Gutierrez sich selbst u.a. als Geschichtenerzähler, als schwule Diva, aber auch als Hofnarr, der den Leuten die Wahrheit hineinsagt.

Schrill mit Perücke

Während er zum Publikum spricht, installiert Gutierrez ein Mikro auf einem Ständer und zieht sich ein bunt gestreiftes Halbnackt-Kostüm über, sodann eine Marie-Antoinette-Perücke. Mit der Turmfrisur angetan legt er los, dass es schriller nicht mehr geht: "Ich will nicht die Verantwortung, ich will nicht den Druck, die Schrecknisse, die Einsamkeit, die Situation, ich will nicht, will nicht, will nicht."

Seine Stücke, sagt Guiterrez, zehren immer auch von unterdrücktem Zorn und Frust. Dass die Welt nicht so ist, wie man sie gern hätte.

Zwischen Wollen und Frust

Die Wurzel dessen sei die kindliche Enttäuschung, dass zum Beispiel der geliebte Vater nicht nur lieb ist, oder dass man über die Ursache eines historischen Ereignisses belogen wurde. Es geht um den ständigen Bruch zwischen utopischem Wollen und der Erkenntnis: Leider läuft es nicht so.

Als Tänzer erlebt man diesen Frust am eigenen Körper, besonders wenn man älter werde, und Gutierrez ist jetzt 40. Wie könne dieser blöde, tolle, aber begrenzte Körper der Sehnsucht genügen, alles über sein Leben in der Welt auszudrücken?